Die Affen von Cannstatt (German Edition)
du hörst nicht ständig diese laute Türkenmusik und quatschst nicht so viel dummes Zeug wie Koza.
Auch noch Ansprüche stellen.
Es gibt nur einen Tisch. Er ist zugemüllt mit Geschirr, Tabak, vollem Aschenbecher, Waschutensilien, einem Handtuch, Vormeldern, Bleistift, einer angebrochenen Kekspackung und Kreuzworträtselzeitschriften.
Für mich, meinen Laptop und das Lämpchen ist da kein Platz. Ich bin versucht, ihren Krempel einfach runterzuwischen. Ich bin furchtbar wütend. Wie können die mir das antun? Warum ausgerechnet zu der? Und wer kriegt jetzt meine Einzelzelle? Irgendeine Prominente oder eine mit einem starken bösen Anwalt? Wissen die, dass Onkel Gerald in Urlaub ist?
Übrigens, ich rauche nicht.
Dann müssen wir uns eben irgendwie einigen, antwortet sie.
Bei mir auf der Hütte wird nicht geraucht, stelle ich klar.
Das ist nicht deine … Hütte. Das ist auch meine, sagt sie, um einen Verhandlungston bemüht.
Ich stelle meine Kisten aufs Bett, nehme das Tabakpäckchen, schiebe den Vorhang, der die Toilette umgibt, beiseite und leere es in die Kloschüssel.
He!, schreit sie und springt auf.
Ich habe schon den Aschenbecher in der Hand. Er ist aus Plastik, aber die Drohung reicht. Sie bleibt stehen.
Ich werde mich beschweren, sagt sie.
Tu das, antworte ich und schütte die Kippen ebenfalls ins Klo und spüle. Dann ziehe ich den Vorhang wieder zu. Er ist halb aus der Deckenschiene gerissen. Aber er schottet den Blick von der dort Sitzenden ab. Immerhin.
Und nimm deinen Krempel vom Tisch. Eine Hälfte ist für mich.
So werden wir aber keine Freunde, sagt sie.
Ich schaue ihr in die starren blauen Augen und antworte: Nein, das werden wir nicht. Ich suche mir meine Freunde nicht im Knast.
Sie lacht entrüstet auf. Du bist doch auch nicht besser als die andern. Wegen irgendwas wirst du schon hier sein.
Ich versichere schon lang niemandem mehr, dass ich unschuldig in U-Haft sitze. Soll das Weib mich ruhig für eine besonders heimtückische Mörderin halten und sich Koza zurückwünschen. Sie hat ihren Fernseher mitgenommen. Ich stelle meinen auf. Ich sehe, dass sie hofft, dass ich ihn auch gleich anstelle.
Auf ihrem Bett liegt eine abgegriffene Frauenzeitschrift, die Koza ihr vermutlich überlassen hat. Rauchen, fernsehen und in Zeitschriften blättern, so liegt sie ihre U-Haft ab.
Während ich mein Bett beziehe und meine Schrankhälfte einräume – es gibt sogar einen abschließbaren Safe –, kann ich mich etwas beruhigen. Es beschämt mich, dass mich ein schlichter Zellenwechsel dermaßen aus der Fassung gebracht hat. Das habe ich bei den Affen nie kapiert, warum die in Stress geraten, wenn sie in einen anderen Käfig umziehen müssen. Es sollte sie doch freuen, etwas Neues zu sehen. Stattdessen blicken sie ängstlich umher. Jetzt verstehe ich es.
Ich sehe ein, ich habe mich der Frau gegenüber unmöglich benommen. Andererseits ist es gut, wenn sie gleich weiß, dass ich als Knastältere die Vorgaben mache.
Vorerst verzichte ich darauf, mir die Hälfte vom Tisch zu erkämpfen, und setze mich mit dem Laptop aufs Bett. Es ist still, vom fernen Straßenverkehr, dem Gesang der Anstaltsamseln und verhallenden Rufen abgesehen. Ich höre ihren schweren Atem. Den Atem einer Raucherin, dicht am Husten. Ich zwinge mich, nicht aufzublicken, sie aus meiner Wahrnehmung auszuschließen. Doch der Atem bleibt, rasselnd und zornig. Vermutlich schaut sie mich an. Überlegt, wie sie mich knackt. Ich muss all meine Kraft aufwenden, um meine Tränen und meine Verzweiflung zurückzuhalten.
Von allen Katastrophen, die mir noch haben passieren können, ist die, eine Zelle mit einer Fremden zu teilen, die mir nicht sympathisch ist, die schlimmste. Der mühsam errungene kleine Frieden, den ich mit meinem Aufenthalt auf Staatskosten geschlossen habe, ist gebrochen. Was ich mir an Würde und Selbstbestimmung über endlose Stunden des Alleinseins aufgebaut habe, ist futsch. Da hockt jetzt eine, atmet rasselnd und wartet darauf, dass ich mit ihr rede, damit sie mit mir einen Rauchkompromiss aushandeln kann oder ich wenigstens den Fernseher anstelle. Und sie will mit Sicherheit nicht dieselben Programme gucken wie ich.
Sollte sie sich nachts am Kabel meines Laptops aufhängen wollen, werde ich sie nicht daran hindern. Das ist gewiss. Oder doch? Ich sollte es tun, denn ob das Netzkabel danach noch zu gebrauchen wäre, ist zweifelhaft, und es dauert Wochen, bis mein Antrag auf ein Ersatzkabel genehmigt ist und es
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