Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Die Affen von Cannstatt (German Edition)

Titel: Die Affen von Cannstatt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Lehmann
Vom Netzwerk:
aufgeben.
    »Okay«, sagt sie und steckt die Hände in die Taschen ihrer Sweatjacke. »Dann muss ich mal …«
    »Eine Frage hätte ich jetzt aber noch«, sage ich.
    »Ja?«
    »Was wolltet ihr, du und Herr Weber, eigentlich vorhin im Zoo?«
    Sie grinst. »Was Richard da wollte, ist mir schleierhaft. Er ist Wirtschaftsstaatsanwalt beim Landgericht. Vielleicht war unser Deutschbein in irgendetwas verstrickt.«
    »Till … Deutschbein? In was könnte der verstrickt gewesen sein?«
    »Keine Ahnung, meine Schöne. Richard ist sehr verschwiegen. Aber wenn er seine Nase irgendwo reinhängt, geht es um organisierten Betrug, Steuerhinterziehung, Umsatzsteuerbetrug oder Bestechung und Bestechlichkeit in Tateinheit mit Untreue und Ehebruch und so weiter.«
    Sie amüsiert mich wider Willen. Ihre Augen sind sehr wach.
    Ich biete Lisa einen Tee an, gieße das Wasser, das schon mal gekocht hat, weg und fülle frisches Wasser in den Kocher. Sie besichtigt mein Bücherregal und zieht ein Buch heraus. »Du liest Gedichte? Droste-Hülshoff. ›Aus Schneegestäub’ und Nebelqualm bricht endlich doch ein klarer Tag.‹ Das ist doch die, die in Überlingen am Bodensee auf dem Schloss gelebt hat. Die Judenbuche, der Alptraum des Deutschunterrichts. Dumpfe Psychologie eines Mörders mit böser Kindheit. Und man mag ihn einfach nicht.« Sie stellt das Buch zurück. »Bei dir stehen ja fast nur Frauen.«
    »Zufall. Ich kaufe nur, was mich anspricht.«
    Sie schaut mich an. »Zufall geht anders. Da darf der menschliche Verstand nicht beteiligt sein.«
    »Es hat sich eben so ergeben.«
    »Ich finde Bücher von Männern auch nicht mehr interessant«, erklärt sie. »Immer blickt er auf seinen Schwanz hinab und von dort zur Frau, die er will, aber nicht kriegt, weil sie sich nicht in einen Federfuchser und seine auktoriale Arroganz verliebt. Und dann tut er sich ganz doll leid und findet alle Frauen berechnend und falsch. ›Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt. Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt.‹ Literatur ist die Rache der Männer an den Frauen, die sich nicht ins Patriarchat fügen.«
    Ich muss lauthals lachen.
    »Ha, endlich lachst du, mein Herz!«
    Auf einmal klingt es gut, wie sie »mein Herz« sagt. Ich ahne, was der kultivierte Staatsanwalt an ihr findet. Sie hat einen Freiheitssinn dort, wo andere – auch ich – ihre gute Erziehung haben und wo bei uns die Angst vor Verachtung, Gelächter und Strafe sitzt. Die hat als Kind dem Knecht Ruprecht die Rute weggenommen und ihn verprügelt. Vielleicht ist sie der Mensch, der sich nicht entsetzt vor meiner Mutter, der Kindsmörderin. Soll ich es ihr sagen?
    Ich nehme das Teegeschirr aus dem Hängeschrank.
    Manche sagen, Tee schmeckt nur im Glas. Steingut geht gar nicht. Ich finde, nur in einer zarten Porzellantasse kann Tee sein Aroma entfalten. Schon die Chinesen haben ihn aus Schalen getrunken. Tee braucht eine große Oberfläche für die rasche Abkühlung, während sein Körper in der Halbkugel der Schale heiß bleibt. Von der Oberfläche steigt in zarten rauchigen Dampfwolken der Duft empor und schmeichelt der Nase, während der erste Schluck, den man sachte über die Kante zieht, bereits eine Temperatur hat, an der man sich nicht mehr Lippen und Zunge verbrüht.
    »Ich habe grünen Tee. Oder möchtest du lieber weißen?«
    »Och …«
    »Der weiße wird nur gewelkt. Der grüne wird auf Eisenpfannen getrocknet. Ihm fehlen die weißen Härchen auf der Blattunterseite.«
    »Dann möchte ich lieber den mit Härchen.«
    »Tee übrigens ist sehr gesund. Der grüne besonders.« Ich rede zu viel. Dabei möchte ich nicht, dass sie merkt, wie aufgeregt ich bin. »Er fängt freie Radikale. Wenn man Milch hineinschüttet, geht die Wirkung allerdings verloren.«
    »Ah«, sagt sie. »Darum sind die Engländer so radikal. Und die Ostfriesen. Weil sie Milch in den Tee tun.«
    Auch sie ist aufgeregt. Sie will mir eine der Tassen abnehmen, stößt dabei aber so ungeschickt an die Untertasse, dass die Tasse hüpft und fällt. Doch sie ist schnell, fängt die Tasse, bevor sie auf dem Tisch zerschellt.
    »Hu!«
    Wir lachen.
    Ich kehre in die Küchenecke zurück, schwenke die Kanne, fülle das Teeei mit den großen Blättern eines Pai Mu Tan und gieße das leicht abgekühlte Wasser darüber, verfolge den Sekundenzeiger meiner Uhr und nehme das Teeei nach vierzig Sekunden heraus.
    »Übrigens«, sage ich, »falls du Zucker willst, ich habe keinen im Haus.«
    »Kein Problem. Dann muss

Weitere Kostenlose Bücher