Die Ahnen der Sterne: Roman (German Edition)
frische, vibrierende Energie nicht gleich an sich zogen.
Während sein Bewusstsein sich immer weiter ausbreitete und die Energie aus der Tiefe stetig ins Netzwerk einsickerte, wuchsen die Ansprüche seiner Willensmacht. Seine Sehergaben beanspruchten immer mehr seiner Lebensenergie, und es schien so, als sei der Zyradin zugegen und beobachte ihn und das Geschehen.
An der einen Seite nahm er eine Bewegung wahr. Von der zentralen Kreuzung des Wurzelhauses gingen vier Galerien ab, die alle grau und dunstverhangen wirkten, und auf einer davon stand eine hoch gewachsene Gestalt. Es war ein Mensch mit nacktem Oberkörper, bedeckt mit zahlreichen kleinen Wunden. Und als Chel die flachen metallenen Implantate an dessen Rücken und Hals sah, wusste er, dass dies Rory war. Im nächsten Moment blickte der Mann sich um und wich geduckt in die Dunkelheit zurück.
Chel schwebte unwillkürlich weiter vor und fragte sich, wie Rory hierher ins Wurzelhaus gefunden hatte. Als die dunkle Galerie auf eine düstere Fläche mündete, merkte er, dass er in die Domäne jener Sehergabe gelangt war, die er als Traumdenken bezeichnete.
Vor ihm schlich der Mensch Rory über die flachen Bodensteine und Grasbüschel auf ein dunkles, gedrungenes Gebäude zu. Es funkelte metallisch, rot und blau leuchteten die Displays von Maschinen. Plötzlich begriff Chel, dass dies die Schulter des Riesen war, und da erbebte auf einmal das Vorgebirge. Die großen Steinplatten verlagerten sich schwankend, und Rory taumelte. Mehrere niedrige Gebäude und zwei Wachtürme stürzten ein. Dann bildete sich ein Riss, aus dem ein grelles silbergraues Licht austrat. Rory machte einen Bogen darum und rannte auf das gedrungene Gebäude zu. Doch auf einmal türmte sich vor ihm der Boden zu einem Hügel auf, und Rory musste auf allen vieren weiterkriechen.
Dann bildeten sich überall Risse, und grelles, silbriges Licht strömte hervor. Einen Moment lang zeichnete sich vor der gleißenden Helligkeit eine Gestalt ab …
Chel atmete erschreckt ein, sog kühle Luft in seine Lunge, und auf einmal befand er sich wieder auf dem Steinsockel. Der Großteil seines Bewusstseins war noch damit beschäftigt, bis in die äußersten Verzweigungen der neunzehn Wurzelhäuser vorzudringen. Die planetarischen Energien sickerten nach wie vor hinein, und in der von Mechas bewachten Feste der Schulter des Riesen harrte der Legionsritter aus, unergründlich, aber vielleicht auch ahnungslos.
Kündete seine Vision von einer unausweichlichen Tragödie, war sie eine Warnung oder eine symbolische Botschaft, Rory betreffend? Das war das Problem beim Traumdenken – was es enthüllte, konnte eine ganz konkrete oder aber rein metaphorische Bedeutung haben, und es gab kaum jemals einen Hinweis darauf, was davon zutraf. Im Moment hatte er auch weder Zeit noch Gelegenheit, um darüber zu meditieren.
Ich muss meine Arbeit abschließen und darauf vertrauen, dass Rorys Weg ihm kein weiteres Leid beschert, ihm am allerwenigsten.
26 Kuros
Körperlos eingekerkert, war er auf das angewiesen, was er sah und hörte. Nachdem er sich zu Anfang unterschiedslos auf jede hör- oder sichtbare Belanglosigkeit gestürzt hatte, war er nun aufmerksamer geworden und vermochte die Wahrnehmungen seiner Augen und Ohren besser zu unterscheiden und zu verarbeiten.
Doch die Augen und Ohren waren nicht mehr seine. Er war ein Gefangener in seinem eigenen Kopf, denn sein lebenslanger AI-Gefährte Gratach hatte ihn verraten und seinen Körper unter seine Kontrolle gebracht. Kuros war sich bewusst, dass er nur das sehen und hören konnte, was Gratach ihm zugänglich machte.
Wenigstens missbrauchte die AI nicht den Körper, den sie sich unterworfen hatte. Es kursierten Gerüchte über andere Sendrukaner, die sich nach der Übernahme durch ihre AIs in selbstzerstörerische Vergnügungen stürzten und sich allen möglichen Perversionen hingaben. Gratach aber war General Gratach nachempfunden, der historischen Persönlichkeit, die bekannt war für ihre Strenge in allen persönlichen Angelegenheiten, was eine Erklärung war für seine Abneigung gegenüber Ausschweifungen. Allerdings spielte dabei sicherlich auch die Anwesenheit des Geläuterten Teshak eine Rolle.
Der Geläuterte Teshak … Seit seiner grausamen Einkerkerung hatte Kuros einen so abgrundtiefen Hass auf Teshak entwickelt wie auf sonst niemanden zuvor. Dazu trug auch bei, dass Teshak wusste, was Kuros sah und hörte; hin und wieder sprach er ihn direkt an, was ihm
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