Die Ahnen von Avalon
Khattar, der sich wie ein erzürnter Bär von seinem Sitz erhoben hatte, wurde voll an der rechten Schulter getroffen. Mit einem dumpfen Aufschrei drehte er sich um sich selbst und stürzte zu Boden. Khensus Griff lockerte sich, und das Messer senkte sich von Micails Kehle. Micail nutzte die Gelegenheit, packte die Messerhand seines Peinigers und drehte sie von sich weg; dann befreite er sich mit einem Satz - und war plötzlich umringt von Soldaten.
Micail schluckte vorsichtig und stellte fest, dass seine Kehle keinen Schnitt aufwies. Er sah Khensu, der mit einem der Soldaten kämpfte, während Khattar gekrümmt am Boden lag, fluchend und die durchbohrte Schulter umklammernd. Micail brach durch den Schutzkreis der Soldaten und kniete neben dem König nieder, um dessen blutige Finger von der Wunde zu heben und diese zu begutachten. Khattar blickte wütend und verständnislos zu ihm auf, als Micail nun seinen Handballen fest gegen die Wunde drückte, um die Blutung zu mindern. Er wandte sich um und atmete tief durch.
»Ruhe!« Das war die Stimme, die beim Aufrichten des Steins geholfen hatte, und die Menge war so erschrocken, dass alle verstummten. »König Khattar lebt!«
»Kehrt zu Euren Plätzen an den Feuern zurück. Wir werden morgen früh eine Ratsversammlung abhalten.« Tjalans Stimme klang wie ein Echo von Micails, und wenn sie auch keinen zwingenden Befehl enthielt, so erkannte doch jeder, dass Gehorsam geboten war. Allmählich löste sich die Menge auf. Tjalan beugte sich zu Micail und legte ihm die Hand auf die Schulter.
»Alles in Ordnung mit dir?«
»Ich werd's überleben«, antwortete Micail zwischen zusammengepressten Zähnen hindurch, »und das Gleiche gilt für ihn. Hol mir einen Riemen und einen Fetzen Stoff!« Erst als Micail mit dem Verbinden von Khattars Wunde fertig war, sah er zu seinem Vetter auf. »Das war keine gute Tat!«
Tjalan grinste nur. »Tut es dir vielleicht Leid, dass ich dich gerettet habe?«
»Der Junge war bereits völlig verängstigt. Es hat nicht viel gefehlt, dann hätte ich ihn mit Worten dazu gebracht, mich loszulassen.«
»Mag sein…« Der raubvogelartige Blick des Prinzen ruhte für eine Weile auf seinen Wachen, die um sie herum Aufstellung genommen hatten. »Aber dieser Augenblick musste einmal kommen. Ob jetzt oder später, das ist im Grunde einerlei, meinst du nicht?«
Nein, dachte Micail und verzog dabei das Gesicht, besser wäre gewesen: nie. Rajastas Prophezeiung hat diesen Tag nicht vorausgesagt. Doch eine innere Ahnung, die ihn vor einer Gefahr warnte, bewog ihn zu schweigen.
15. Kapitel
Während des Hochsommers blieb der Himmel über dem Sumpf manchmal eine ganze Woche über klar. Damisa stand mit geschlossenen Augen im vollen Sonnenlicht und konnte sich beinahe vorstellen, dass sie sich in der strahlenden Hitze von Ahtarrath wärmte. Selbst im Schatten der Klause, die man für Selast gebaut hatte, damit sie während des Monats vor der Hochzeit in Abgeschiedenheit dort lebte, war es warm.
Zu warm, dachte sie und fächerte ihren Wangen mit der Hand Luft zu. Ich habe mich daran gewöhnt, im Nebel zu leben. Ich bin schon zu lange in diesem Land. Und doch, selbst im Seereich hätte sie Selast nicht bis in alle Ewigkeit für sich allein haben können.
Während Iriel und Elis Selast das Gewand auszogen, das diese zu ihrem rituellen Bad in der Roten Quelle getragen hatte, fielen Sonnenstrahlen zwischen den verflochtenen Ästen hindurch, aus denen die Klause gebaut war, und fleckten die Haut der jungen Frau wie die eines Rehkitzes. Im Lauf der fünf Jahre, die sie nun schon im Nebel des neuen Landes lebte, war ihre einst bronzefarbene Haut zu einem Goldton verblasst, und die ständige körperliche Arbeit hatte ihren eckigen Gliedmaßen drahtige Kraft und geschmeidige Bewegungen verliehen, die Damisa wieder einmal an ein Wesen erinnerten, das der menschlichen Rasse an Schönheit und Anmut weit überlegen war. Aber Selast war kein Rehkitz, dachte sie mit einem plötzlichen Stich in der Brust; sie war eine junge Stute mit einer dichten Mähne aus gewelltem schwarzem Haar und Feuer in den dunklen Augen.
»Und jetzt zum Kleid…«, sagte Iriel und hob dabei den in Falten gelegten blauen Leinenstoff, den sie sich über die Arme drapiert hatte, in die Höhe. »Anschließend werden wir dich mit Blumen krönen!« Sie sah sich um und runzelte die Stirn, als sie feststellte, dass der Korb leer war. »Kestil und die anderen Kinder hätten sie heute Morgen sammeln sollen.
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