Die Ahnen von Avalon
Wenn sie das vergessen haben…«
»Ich laufe schnell ins Dorf hinunter«, sagte Elis und war auch schon auf dem Weg zur Tür.
»Wenn ihr beide geht, könnt ihr schneller suchen«, mischte sich nun Damisa ein. »Ich bleibe hier und wache über unsere Braut.«
Als die beiden fort waren, schritt Selast in der Klause auf und ab. Sie nahm das weiße Unterhemd und dann das blaue Kleid, beides aus Leinen gefertigt, an sich. Den Flachs dafür hatten sie selbst angebaut und den Stoff mit heimischem Waid gefärbt. Die Farbe entsprach nicht ganz dem Blau, das die Caratra-Priesterinnen zu Hause getragen hatten, doch sie kam ihm immerhin so nahe, dass Damisa ein gutes Gefühl dabei hatte. Das Tragen dieses Blautons bedeutete, dass man sich in den Dienst der Großen Mutter stellte. Damisa war allerdings ein wenig unwohl bei der Vorstellung, dass Selasts schlanker Körper durch eine Schwangerschaft anschwellen würde.
»Bist du aufgeregt?«
»Aufgeregt?«, wiederholte Selast mit einer schnellen Kopfdrehung, die Damisa inzwischen lieben gelernt hatte. »Ein bisschen, glaube ich. Was ist, wenn ich meinen Text vergesse?«
Damisa hielt das nicht für sehr wahrscheinlich. Sie hatten das Auswendiglernen geübt, seit sie als Kinder für den Tempel auserwählt worden waren.
»Ich meine, ob du wegen der Hochzeit aufgeregt bist.«
»Mit Kalaran?« Selast lachte. »Ich kenne ihn, seit ich neun Jahre alt war, noch bevor wir zu Priesterschülern ausgewählt wurden, obwohl ich gestehen muss, dass ich bis vor einem Jahr nicht viel von ihm gehalten habe - bis zu jener Nacht, als wir Iriel gesucht haben. Er machte mir immer den Eindruck, als ob er auf jeden böse wäre. Erst damals erkannte ich, wie schuldig er sich immer noch fühlt, weil er überlebt hat, während Kalhan und Lanath und die anderen ihr Leben ließen. Deshalb ist er manchmal so… sarkastisch. Er versucht, seinen Schmerz zu überspielen.«
»Ach, das ist der Grund?« Damisa hörte, dass auch ihre Stimme einen sarkastischen Unterton hatte, und bemühte sich zu lächeln. »Heiratest du ihn dann etwa aus Mitleid statt aus Pflichtbewusstsein?«
Selast blieb schließlich stehen und sah sie stirnrunzelnd an. »Vielleicht ist etwas von beidem im Spiel. Zumindest sind wir gute Freunde. Ist das wichtig? Dieser Tag hat kommen müssen.«
»Ja, in Ahtarrath, aber hier?« Damisa stand unvermittelt auf und packte Selast an den schlanken Schultern. »Wir haben keinen Tempel, und von der Priesterschaft ist nur wenig übrig. Warum sollten wir unser Leben zerstören, nur um Nachkommen hervorzubringen?«
Selast sah ihre Freundin mit großen Augen an; sie hob die Hand und strich Damisa übers Haar. »Bist du eifersüchtig auf Kalaran? Die Eheschließung ändert doch nichts an dem Verhältnis zwischen dir und mir…«
Aber es hat sich schon einiges daran geändert, dachte Damisa und bedachte Selast mit einem zornigen Blick. »Du wirst an seiner Seite schlafen und sein Haus besorgen und seine Kinder auf die Welt bringen, und du bildest dir ein, dass all das spurlos an dir vorübergehen wird?« Ihr wurde bewusst, dass sie geschrien hatte und Selast zusammengezuckt war. »Du musst das nicht tun«, fuhr Damisa in flehendem Ton fort. »Erinnerst du dich an Tarets Erzählungen von der Insel im Norden, wo die Kriegerinnen ausgebildet werden? Wir könnten dort hingehen und zusammen sein.«
Selast schüttelte heftig den Kopf und entwand sich mit einer jähen Drehung Damisas Griff. »Wenn ich mir vorstelle, dass ich immer die Rebellin war, während du als brave Priesterin die Nase hoch in der Luft getragen hast! Du kannst das, was du sagst, nicht ernst meinen, Damisa - du bist schließlich Tirikis Priesterschülerin!
Kalaran braucht mich«, fuhr Selast fort. »In jener Nacht auf dem Berg hat er mir gesagt, dass er nach dem Untergang allen Glauben verloren hatte - er konnte die unsichtbaren Kräfte nicht mehr erfühlen. Doch als wir uns aneinander schmiegten, verloren und zitternd, erkannte er, dass er nicht allein war.«
» Ich brauche dich!«, schrie Damisa, doch Selast schüttelte den Kopf.
»Du willst mich, aber du bist stark genug, um ohne mich zu leben. Meinst du denn, wir wurden deshalb verschont, damit wir unserem eigenen Vergnügen frönen können, während so viele andere gestorben sind?«
»Verdammt sollen die sein, die gestorben sind, und verdammt soll auch Tiriki sein!«, murmelte Damisa. »Selast - ich liebe dich…« Sie machte Anstalten, das Mädchen wieder zu umarmen; ihr Herz
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