Die Ahnen von Avalon
sie beleidigt, und das mit Recht. Er konnte den Steinkreis nicht vor dessen Vollendung verlassen. Und wenn er ihr etwas über die Intensität der Kraft erzählte, mit der er hier in Berührung gekommen war, dann würde sie das womöglich ängstlich machen.
»Siehst du?« Sie lächelte ein wenig, da sie seine Gedanken las, genau wie früher. Dann wurde ihr Blick eindringlicher. »Oder gibt es einen anderen Grund, warum du bleiben möchtest? Dieses Mädchen, Anet… sie kam mir ziemlich… besitzergreifend vor, als sie von dir sprach.«
»Zwischen ihr und mir ist nichts außer Wunschdenken - auf ihrer Seite!« Hatte er zu schnell widersprochen?
»Ich könnte dir kaum Vorwürfe machen, wenn du schwach geworden wärst. Sie ist recht hübsch, und du hast ja nicht gewusst, dass ich noch am Leben bin.«
»Na ja, ich hätte schwach werden können, doch ich bin es nicht!«, sagte er aufgebracht. »Aber du willst mir unterstellen, dass ich untreu war, stimmt's? Versuchst du vielleicht, dich zu rechtfertigen, weil du mit Chedan geschlafen hast?«
Tiriki entwand sich seinem Arm und sah ihn mit funkelnden Augen an. »Wie kannst du es wagen!?«
Er hielt ihrem Blick stand und nahm in seiner Verwirrung Zuflucht zur Wut. »Was soll ich denn annehmen, wenn du mit jedem zweiten Satz seinen Namen preist?«
»Er ist ein großer Magier, ein frommer und weiser Mann…«
»Im Gegensatz zu mir?«
»In Ahtarrath warst du groß und weise.« Ihre Augen waren grau und kalt wie ein See im Winter. »Ich weiß nicht, was du jetzt bist.«
»Komm nach Azan, dann wirst du es herausfinden!« Er sah sie wütend an.
»Das wird dann wohl noch eine Zeit dauern«, fauchte sie zurück, »denn je mehr ich höre, desto weniger sehe ich einen Grund, den Heiligen Berg zu verlassen!«
»Aber Tjalan wird dir nicht erlauben, dort zu bleiben. Er… Unser Volk muss vereint werden, damit unsere Begabungen sich ergänzen. Auch zusammen sind wir noch wenige - und er kann uns beschützen!«
» Wir brauchen solchen Schutz nicht.« Tiriki straffte ihre Haltung. »Ich mag vielleicht das blaue Caratra-Gewand tragen, aber ich bin eine Heilige Hüterin des Tempels des Lichtes! Weder du noch Chedan, nicht einmal Tjalan von Alkonath, keiner darf mir Befehle erteilen!«
»Die Tempel liegen unter den Wellen«, sagte Micail, plötzlich müde. »Bis wir den neuen gebaut haben, sind wir alle, du und ich und die Übrigen, Hüter von gar nichts. Hilf mir, Tiriki, das alles wieder Wirklichkeit werden zu lassen.«
»Nichts?«, wiederholte sie. »Meinst du etwa, die Götter sind machtlos ohne ihre Steintempel?«
»Nein, natürlich nicht… Aber die Prophezeiungen…«
»Es gibt viele Prophezeiungen!« Sie machte eine ungeduldige Handbewegung und trat noch einen Schritt zurück. »Das ist nicht wichtig. Der Caratra-Kult ist hier sehr stark… stärker, als er zu Hause war. Meine Mutter und deine Mutter haben mich zu ihrer Priesterin gemacht, lange bevor Rajasta und Reio-ta mich zur Priesterin des Lichtes erhoben haben. Ich bin mit den Heiligen Schwestern dieses Landes verbunden, und sie glauben, dass der Heilige Berg der Ort ist, wo ich hingehöre.«
Micail starrte sie an, und als ihm plötzlich eine Ähnlichkeit zwischen ihr und Anet auffiel, unterdrückte er das seltsame Gefühl des Unbehagens. Das Zeichen der Göttin? Ni-Terats Tempel war auf Ahtarrath von geringer Bedeutung gewesen. Er hatte bis jetzt noch nie über Tirikis anderweitige Verpflichtungen nachdenken müssen.
»Wenn du die Hoffnung hegen willst, dass wir jemals wieder zusammenkommen«, sagte Tiriki ernst, »dann versuche nicht, mich durch Zwang an deine Seite zu holen. Komm zu mir, wenn du willst. Wenn nicht…«
»Ich kann nicht…« Micail verstummte. Ich wage es nicht, von hier wegzugehen, aus Angst, diese Stätte, die wir errichten, könnte missbraucht werden!
Endlich gestand er sich ein, was er befürchtete, aber er schämte sich, es ihr gegenüber zuzugeben. Er würde dafür Sorge tragen, dass der Steinkreis nicht benutzt würde, Tjalans Machtfantasien zu dienen; dann erst könnte er ihn verlassen.
»Bestimmt hast du deine Gründe, Micail.« Sie glaubte anscheinend an seine Aufrichtigkeit, auch wenn sie ihn nicht verstand. »Ich zweifle nicht an dir, und wenn du wahrhaft glaubst, dass du bleiben musst, wo du bist, so soll es so sein - fürs Erste. Unser Leben gehört nicht uns selbst«, fügte sie hinzu, und er war erleichtert, wieder eine Spur von Wärme in ihren Worten zu hören. »Das sind
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