Die Ahnen von Avalon
Falken.
Tirikis Hände waren warm, so wie er sie in Erinnerung hatte, aber nicht mehr so weich, und ihre Finger waren schwielig. Micail drehte sie in den seinen nach oben und liebkoste sie zärtlich; dabei zog er bei jedem winzigen Schnitt, jeder Narbe und jedem Kratzer die Augenbrauen hoch.
»Deine armen schönen Hände! Was hast du nur damit gemacht?«
Sie lächelte ein wenig. »Ich habe etwas gebaut, genau wie du. Aber ohne so viel Hilfe.«
Er legte ihr den Arm um die Schulter, widerstand jedoch der Versuchung, sie noch näher an sich heranzuziehen. Sie befanden sich jetzt zwar außer Hörweite der anderen, doch nicht außer Sichtweite, und ihm war unangenehm bewusst, dass sie von neugierigen Zuschauern beobachtet wurden. Es ziemte sich nicht für einen Obersten Priester des Tempels, auf dem Berg vor den Augen der Götter und aller Leute seine Frau leidenschaftlich zu umarmen.
Er suchte nach Worten, um seine Gefühle auszudrücken. Wie seltsam, dass ihm das nach dieser langen Zeit so schwer fiel!
»Mir kommt es so vor, als ob ich träumte«, sagte er nach einer Weile. »Das war schon einmal so… während des größten Teils der Reise nach Belsairath und sogar noch danach, wirklich. Man musste ernsthaft an meinem Verstand zweifeln. Ich weiß nicht, wie lange ich am Hafen herumgelungert habe, aber ich war Tag und Nacht dort, in der festen Überzeugung, dass dein Schiff einlaufen würde. Ständig tauchte das Bild des Hafens von Ahtarrath in meinem Geist auf, wo du hättest sein sollen. Aber du warst nirgends zu sehen!«
Sie schmiegte sich ein wenig enger an ihn, und ihre Augen waren so feucht wie die seinen, als sie die Arme um ihn schlang und ihn fest an sich drückte. Endlich entspannte er sich ein wenig.
»Wie, im Namen der Götter«, hauchte er, »wie ist es dir gelungen zu überleben?«
»Mit Hilfe der Götter«, sagte sie leise, »und mit Chedans Hilfe. Er war wie ein Fels in der Brandung, die treibende Kraft bei so vielen Dingen, die wir bewältigt haben. Ohne seine Weisheit wäre ich oft verzweifelt.«
»Ich bin sehr froh, dass er bei dir war«, murmelte Micail, und er meinte es ernst. Aber dennoch, dachte er und verspürte erneut einen Stich der Eifersucht, hätte ich derjenige sein müssen, der dich führt und beschützt.
»Und die Sumpfbewohner haben uns gezeigt, wie man in dem neuen Land sein Dasein fristen kann«, erklärte sie.
»Indem man sich von Wurzeln und Beeren und Fröschen ernährt?«, sagte er verächtlich. »Ich habe gehört, wie die Eingeborenen im Land am See leben. Selbst die Ai-Zir betrachten sie als Wilde.«
»Für uns sind sie keine Wilden!«, widersprach Tiriki ein wenig bissig. »Chedan sagt, dass die Kultur nicht von der Umgebung abhängt, in der man lebt, sondern von der eigenen Seele. Nach diesem Maßstab sind die Eingeborenen wirklich sehr zivilisiert.«
Chedan sagt… Micail kam der Gedanke, dass ihm dieser Satz irgendwann missfallen könnte, und zwar bald - und zutiefst.
»Nun«, schlug er einigermaßen ruhig vor, »vielleicht können wir einen oder zwei unserer niederrangigen Priester aussenden, um ein wenig Fortschritt in deine sumpfige Zwangsheimat zu bringen - aber du und das Kind, ihr müsst bei mir in Azan leben.«
»Müssen, Micail?« Sie sah ihn kühl an. »Dieses Wort hast du mir gegenüber früher nie gebraucht…«
»Wir waren so lange getrennt - du hast mir so sehr gefehlt. Das ist kein Befehl, Liebste, es ist ein Schrei aus meinem Herzen.«
»Ahnst du, wie oft ich morgens auf einem nassen Kopfkissen aufgewacht bin, weil ich im Schlaf vor Sehnsucht nach dir geweint habe?«, entgegnete sie. »Doch bevor wir das Ehegelübde abgelegt haben, wurden wir auf die Götter eingeschworen. Chedan sagt, wenn man einen Eid bricht, so bedeutet das, dass man jeden anderen ebenfalls infrage stellt. Zu Hause haben wir gemeinsam für die Götter gearbeitet, und bestimmt werden wir das in Zukunft wieder tun. Doch gegenwärtig haben wir andere Verpflichtungen. Zumindest ich. Die Sumpfbewohner haben ihre alte Lebensweise aufgegeben, um Teil unserer Gemeinschaft zu werden; wir können sie nicht einfach im Stich lassen. Wenn es bei dir anders ist, warum verlässt du dann nicht Azan und kommst mit mir, um dort zu leben, wo ich lebe?«
Er war im Begriff zu antworten, merkte jedoch, dass er gar nicht wusste, was er sagen sollte. Wenn er ihr klar zu machen versuchte, dass das nicht dasselbe wäre, dass seine Arbeit am Sonnenrad wichtiger wäre als das, was sie tat, wäre
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