Die Ahnen von Avalon
Ankunft den täglichen Lobpreis gesungen und die Meditationsübungen absolviert. Doch nun galt es, in all der Zeit zum ersten Mal ein großes magisches Werk in Angriff zu nehmen.
Zusammen mit Kalaran hatte er am Vormittag als Erstes einen kleinen quadratischen Altar errichtet und ihn mit Wasser und Öl geweiht. Anschließend hatten sie Holz für das heilige Feuer gesammelt. Die ganze Zeit über war Chedan von Erinnerungen heimgesucht worden, die ihn in seiner Konzentration störten.
Nun wandte der Magier den schmerzenden Rücken nach Osten, streifte sich die glitzernde Nar-Inabi-Maske mit den weit auseinander stehenden Augen über und stimmte, nur für seinen Priesterschüler und die Götter hörbar, die Eröffnungshymne an. Im gleichen Augenblick setzte am Fuß des Berges die Heilige Musik ein. Der Zug der Priester und Priesterinnen stieg im Dunkeln auf dem neuen Weg durch den Wald zum Gipfel empor. Viele Stimmen erhoben sich und stimmten ein in das Spiel der Flöten und Trommeln:
» Das Jahr ist alt, der Himmel ist kalt,
Denn es dreht sich das Rad.
Die Erde ist kahl allüberall
Und es dreht sich das Rad .«
Tiriki betrat als Erste den Heiligen Kreis. Auf ihrem Haupt glänzte die goldene Haube der Hüterin des Lichtes, doch vor allem zog ihr schwangerer Leib die Blicke auf sich. Sie stand kurz vor der Niederkunft. Ihr Zustand steigerte noch ihre Macht, dennoch konnte man es nicht wagen, ihr bei dieser Zeremonie die Rolle der Priesterin zu übertragen.
Chedan wandte sich Liala zu, die hinter Tiriki kam. Sie hatte die graue Ni-Terat-Maske aufgesetzt. Chedan lächelte im Schutz seiner eigenen Maske. Liala war eine erfahrene Priesterin, zuverlässig und belastbar. Chedan traute ihr zu, auch mit größeren Schwankungen im Strom der magischen Kräfte fertig zu werden.
» Am gefrorenen Bach werden Träume wach,
Wenn das Rad sich dreht.
Ein winziger Funke kämpft gegen das Dunkel…
Und es dreht sich das Rad .«
Die Überlieferung verlangte, dass alle Teilnehmer an diesem Zeremoniell die schlichte Robe der Priester des Lichtes trugen; doch unter den dicken Mänteln, auf die man in dem rauen Klima nicht verzichten konnte, war von dem leuchtend weißen Linnen kaum etwas zu sehen.
Wieder musste Chedan hinter seiner Maske schmunzeln. Wir werden uns wärmere Gewänder schneidern müssen, wenn das Ritual im alten Glanz erstrahlen soll, dachte er.
Er rief sich zur Ordnung, sammelte sich und stimmte ein in den Gesang:
» Die Dunkelheit kommt, doch es locket der Mond,
Und es dreht sich das Rad.
Der Sterne Pracht die Lust entfacht….
Bis das Rad sich dreht .«
Sänger, Flöten und Trommeln verstummten. Einen Augenblick lang war alles still.
»Wer tritt zum Altar, wenn sich wendet das Jahr?«, sang Chedan. »Banur der Viergesichtige übernimmt das Zepter. Die Welt versinkt im Dunkel. Was zaudert ihr?«
»Wir sind die Kinder des Lichtes«, antwortete der Chor. »Die Schatten fürchten wir nicht. Wir wollen ein Feuer entzünden, auf dass das Licht zurückkehre in die Welt!«
»Doch wer gibt euch die Kraft dazu?«, erhob sich Lialas warme Stimme. »Hier im eisigen Reich der Monde, fernab von Wissen und Glauben?«
»Die Macht des Lebens! Der Kreis der Liebe…«
»So tretet denn näher«, sangen Chedan und Liala gemeinsam, »und lasset die Wärme ein in unsere Herzen…«
Die Stimmen vereinigten sich und riefen beschwörend: »Licht, du unser Vater, kehre zurück in die Welt.«
Mit raschelnden Gewändern und nicht wenigen knirschenden Gelenken ließen alle sich nieder und nahmen die Meditationshaltung ein. Der Boden war natürlich sehr kalt, aber wenigstens anfangs noch nicht allzu feucht.
»Nun bricht herein die längste Nacht«, sang Chedan, »die Welt beherrschet Banurs Macht…« Er hielt inne und berechnete, wie viel Zeit ihm noch bliebe, bis die Grenze zwischen den Sternzeichen den nördlichsten Punkt der Ekliptik passierte. Er hatte viel Mühe darauf verwendet, um den Augenblick, wenn die unsichtbare Sonne aus dem Zeichen der Seeziege ins Zeichen des Wasserträgers eintrat, genau zu bestimmen.
»Seit den ersten Tagen des Tempels«, fuhr er fort, »feiern wir die Nacht, nach der die Sonne wieder zu erstarken beginnt. Dazu versammeln wir uns, nicht nur um uns dem großen Werk aufs Neue zu weihen, sondern um uns bestätigen zu lassen, dass wir mit unseren Kräften auch würdige Verbündete der Mächte sind, die über alles Seiende herrschen.
Das Feuer ist eine irdische Verkörperung des allmächtigen Lichtes. Aus
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