Die Ahnen von Avalon
hast zugleich die Autorität, um die Priester im Zaum zu halten, für deren Schutz die Soldaten verantwortlich sind.«
Micail schüttelte staunend den Kopf, wobei ihn weniger Jiris Worte überraschten als die Tatsache, dass er zum ersten Mal seit dem Untergang wieder lebhaften Anteil am Geschehen nahm.
Nachdem sein Freund gegangen war, lag er noch lange wach und lauschte dem Lärm der Feiernden. Inzwischen prasselte der Regen nieder, aber das konnte ihre Begeisterung nicht dämpfen. Micail fühlte sich an die Brandung vor Ahtarraths Küste erinnert und musste lächeln.
Endlich schloss er die Augen und ließ die bunten Bilder aus dem Traum noch einmal an sich vorüberziehen. Doch als die ersten Vögel mit ihrem Gezwitscher das Kommen des neuen Tages ankündigten, veränderte sich die Vision. Eine Stimme verkündete: » Manoahs Tochter bringt das Leben in die Welt zurück! «
Dann ging die Mittwintersonne auf, und das Kind, das er in den Armen hielt, erstrahlte in hellem Licht.
Den ersten Jahrestag der Ankunft in Belsairath schienen sogar die Bäume feiern zu wollen. Sie warfen das tote Winterlaub ab, hüllten sich in leuchtendes Grün und erfüllten alles mit lieblichem Duft. Der Zyklus der Jahreszeiten, der zu Hause so gemächlich ablief, dass er nur von den Priestern wahrgenommen wurde, stand in diesem nördlichen Land im Mittelpunkt der Urreligion. Micail hatte sicherlich noch nie so bewusst miterlebt, wie die Tage länger wurden. Er fand kaum noch Zeit zum Grübeln, und das lag nicht nur daran, dass ihn die Vorbereitungen für die Expedition in das Gebiet der Ai-Zir gefangen nahmen.
Der Schmerz war nicht etwa verschwunden, aber er spürte ihn nicht mehr so hautnah, sondern fand sich allmählich sogar damit ab, dass er Tiriki nicht wieder sehen würde. Er hatte mit Händlern gesprochen, die in die Stadt kamen, und sogar Prinz Tjalan überredet, mit einem Schiff die aussichtsreicheren Landeplätze in der Nähe von Beliri'in absuchen zu lassen, aber niemand hatte etwas von ihr gehört. Micail trauerte um den Körper, den er geliebt hatte, aber er tröstete sich damit, dass sie in einem anderen Leben wieder zusammenfinden würden. Und manchmal glaubte er sogar daran.
Dann kam der Tag der Abreise. Micail stand am Hafen, die weiße Priesterrobe geschürzt, um ungehindert ausschreiten zu können, an den Füßen derbe Sandalen und in den Händen einen Stab, der nicht nur als Zauberstab dienen konnte. Hinter ihm formierte sich der Zug. Alle redeten durcheinander. Die weißen Gewänder der Priesterschüler, die ihn begleiten sollten, bildeten einen deutlichen Kontrast zu den grünen Waffenröcken der Soldaten. Das Meer war heute tiefblau, und die weißen Schaumkronen leuchteten in der Sonne. Ein blitzender Fleck, rötlich golden, fiel ihm ins Auge.
Micail schrak zusammen, glaubte für einen Moment, eine Vogelschwinge um die Landspitze biegen und in den Hafen einlaufen zu sehen… Doch dann drehte sich der Wind und drückte die Wellen nieder. Es war nur eine Spiegelung des Sonnenlichts gewesen.
Du darfst das Wegzeichen nicht mit dem Ziel verwechseln, hörte er im Geist den alten Rajasta warnen.
»Micail! Nun komm schon, Mann, wir können nicht ohne dich aufbrechen!« Jiritarens Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.
»Leb wohl«, flüsterte er und grüßte den Lichtreflex auf den Wellen mit erhobenen Händen. Dann wandte er sich ab und reihte sich neben Prinz Tjalan in den Zug ein.
Während der ersten Stunde schaute Micail nur auf die Straße mit ihren tiefen Radspuren und achtete kaum auf seine Umgebung. Erst als er hinter sich einen überraschten Ausruf hörte, blickte er auf. Zu seiner Linken erhob sich ein Hügel, der von einem grasbewachsenen Wall umgeben war.
»Haben das unsere Eingeborenen gebaut?«, fragte er Tjalan. »Das hätte ich ihnen nicht zugetraut.«
»O doch«, antwortete Tjalan, »sie oder vielmehr ihre Vorfahren. Und bis wir kamen, haben sie auch dort gewohnt. Mein Urgroßvater hat die Hafenstadt gegründet.« Er deutete mit dem Daumen hinter sich. »Mein Vater hielt die Häfen auf den Zinn-Inseln für einen völligen Fehlschlag, aber für hiesige Verhältnisse haben sie sich gut entwickelt - Domazo, der Wirt des Gasthofs, in dem es dir so gut gefällt, ist ein direkter Nachkomme des damaligen Stammeshäuptlings. Sollte mich nicht wundern, wenn er in Belsairath ebenso viel zu sagen hätte wie ich! Heute ist die Anlage jedenfalls nicht mehr bewohnt, wie du siehst. Damit haben wir viel Platz,
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