Die Ahnen von Avalon
um uns auszubreiten.«
»Beeindruckend«, sagte Micail nach einer Weile.
»O ja, durchaus. Wir sollten nicht vergessen, dass diese Menschen Großes leisten können, wenn sie nur richtig geführt und energisch zur Arbeit angehalten werden.«
Micail sah ihn scharf an, aber Tjalan ging weiter und betrachtete den Horizont, als wäre nichts vorgefallen. Hatte er eben tatsächlich angedeutet, die Eingeborenen warteten nur auf einen starken Führer? Meinte er womöglich sich selbst? Das konnte doch nicht sein Ernst sein! Bisher war nur davon geredet worden, das Gebiet der Ai-Zir zu erkunden und den König der Eingeborenen um seine Erlaubnis für den Bau eines Tempels zu bitten. Micail konnte sich nicht erinnern, dass Rajasta jemals ein Atlantidenreich prophezeit hätte, das mit der Arbeitskraft unterjochter Völker errichtet worden wäre.
Am Morgen des zweiten Tages ließ sich Micail im Zug zurückfallen, um mit den jüngeren Mitgliedern der Expedition zu gehen. Ob er willkommen sein würde, wusste er nicht; sie waren in seiner Gegenwart oft steif und gehemmt. Aber heute freuten sich alle, als sie ihn sahen.
Micail hatte in letzter Zeit oft mit den Eitelkeiten und Empfindlichkeiten seiner Mitpriester zu kämpfen gehabt und stellte nun erfreut fest, dass die Priesterschüler keinerlei Anstalten machten, die Zöglinge anderer Priester und Priesterinnen herumzukommandieren. Sie behandelten Li-ija und Karagon wie ihresgleichen, und Galara wurde weder wegen ihrer königlichen Abstammung, noch weil sie Micails Schwägerin war, in irgendeiner Weise bevorzugt. Sorgen bereitete ihm nur der junge Lanath. Er blieb ständig hinter den anderen zurück und starrte ins Leere, als verfolgte ihn ein schlimmer Traum. Nach einer Weile blieb Micail seitlich neben der Straße stehen und bückte sich, wie um sich die Sandalen neu zu schnüren.
Als Lanath auf gleicher Höhe mit ihm war, richtete er sich auf.
»Du siehst müde aus«, sagte er. »Schläfst du nicht gut?«
Lanath hob überrascht den Kopf. »O d-doch«, stammelte er und strich sich mit der Hand über das Kinn, eine Angewohnheit, die er entwickelt hatte, seit endlich auch bei ihm die ersten Barthaare sprossen. »Aber vergangene Nacht…«
Micail nickte. »Wir träumen alle von dem, was wir verloren haben. Aber wir müssen nach vorn schauen.« Eine Mahnung, die er selbst sich zu Herzen nehmen sollte… »Ich träume immer wieder von meiner Frau. Vergangene Nacht sah ich sie so deutlich, als stünde sie vor mir.«
»Wenn ich keine Albträume habe, und an die kann ich mich, den Göttern sei Dank, hinterher nie erinnern«, sagte Lanath stockend, »träume ich von Kanar - dem Himmelskundigen aus dem Tempel von Ahtarrath. Ihr wisst schon…«
»Ja?«, fragte Micail und zog aufmunternd die Augenbrauen hoch.
»Nun, man hatte mich kurz zuvor zu ihm in die Lehre gegeben - ich konnte immer gut mit Zahlen umgehen. Aber in den Träumen, da… Anfangs ist es gar nicht so ungewöhnlich - ich meine, ich sehe ihn einfach in seinem Observatorium oder wie er am Strand spazieren geht. Doch dann… dann ist es, als wollte er mir etwas sagen, aber ich kann ihn nicht so recht verstehen.«
»Die Sterne gehören doch ohnehin zu den Dingen, die niemand so recht versteht«, antwortete Micail. Plötzlich ging in seinem Kopf alles drunter und drüber, er wurde von Zweifeln gequält, die nicht seine eigenen waren. Lanath übertrug seine Gefühle auf ihn. Kein Wunder also, dass sich die anderen in seiner Nähe unwohl fühlten.
Der Junge brauchte dringend wieder einen Lehrer. Micail räusperte sich. »Nun, Lanath, wenn du dich zur Sternenkunde berufen fühlst, dann solltest du einmal mit Ardral sprechen.« Lanath zuckte zurück. »Oder mit Jiritaren«, verbesserte sich Micail. »Den Siebenten Hüter brauchst du übrigens nicht zu fürchten, aus seinen Scherzen kannst du mehr lernen als aus den gelehrten Vorträgen vieler anderer. Aber Jiri ist vielleicht nicht ganz so unnahbar. Doch im Augenblick hat etwas anderes Vorrang. Du hast den Stimmbruch endgültig hinter dir, nicht wahr?«
»Ja - man sagte mir, ich sei ein Tenor.« Lanath errötete. »So wie Ihr.«
»Wunderbar«, lächelte Micail. »Das sage ich nicht nur aus Höflichkeit oder um dich aufzumuntern. Für den Bau des neuen Tempels werden wir geschulte Sänger brauchen - und deshalb solltest du von jetzt an mit mir arbeiten. Was hältst du davon?«
»Ihr meint, sofort? Es ist nämlich so, dass ich mich nur schwer konzentrieren kann.« Wieder
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