Die Ahnen von Avalon
noch nicht genug gelaufen?«, murrte Elara; aber bis auf Lanath, der etwas von Geistern murmelte, waren alle Feuer und Flamme. Li-ija und Karagon fanden bald einen Weg, der fast in gerader Linie den Hang hinauf zur Kuppe führte. Die Gruppe kam gut voran. Schon bald standen sie vor einem Graben und einem niedrigen Wall. Beides war von dichtem Gestrüpp überwuchert. Der Graben war seltsamerweise in Abschnitte gegliedert, dazwischen hatte man Brücken aus fester Erde stehen gelassen.
»Weder Graben noch Wall sind gut zu verteidigen«, bemerkte Karagon. »Das kann nicht nur eine Festungsanlage gewesen sein.«
An der Nordseite standen noch die Eckpfosten eines Wachhäuschens. Das Dach war längst eingebrochen.
»Wozu sollte das gut sein«, fragte Li-ija, »wenn nicht, um eine Festung zu bewachen?«
»Die Ausstrahlung ist… seltsam.« Lanath schüttelte sich, dann fuhr er hastig fort: »Nicht feindselig, nur sehr alt. Man spürt das Echo vieler Stimmen.«
»Stimmt«, nickte Li-ija. »Ich höre sie auch…«
»Das ist nur der Wind. Aber hier hat jemand in einer dieser Gruben gewühlt«, sagte Cleta. Sie trat näher, hockte sich nieder und scharrte die Erde beiseite. »Das ist eine Handmühle, wie sie die Eingeborenen zum Mahlen des Getreides verwenden. Aber sie ist zerbrochen.«
»Zerschlagen«, mutmaßte Elara.
»Geopfert«, flüsterte Karagon dramatisch.
»Ist das ein Topf?« Galara beugte sich vor, um besser sehen zu können.
»Ein Schädel«, antwortete Elara. »Vielleicht von der Frau, die mit der Mühle arbeitete.«
»Lasst uns hineingehen«, schlug Karagon vor und tastete sich an den Trümmern des Wachhäuschens vorbei. Lanath und Galara protestierten abermals, doch dann zuckten sie die Achseln und folgen den anderen.
»Das ist ein Steinkreis!«, sagte Elara und blieb, wie sie es gelernt hatte, nach wenigen Schritten stehen, um die erwartungsvolle Stille auf sich wirken zu lassen. Es gab jedoch keinen Altar; nur hohe Gräser und etliche Haselschösslinge wiegten sich im Abendwind.
»Ich glaube«, sagte Galara mit zitternder Stimme, »wir haben die Begräbnisstätte gefunden.«
»Warum wurde dann dieser Leichnam nicht bestattet?« Li-ija zeigte ins Innere des Kreises, wo ausgebleichte Gebeine im Gras verstreut lagen.
»Vielleicht hat man ihn verbrannt«, überlegte Cleta. In Atlantis verfuhr man so, um die Bande des Karmas zu lösen und der Seele die Freiheit zu geben, sich einen höheren Weg zu suchen. Doch diese Knochen wiesen keinerlei Brandspuren auf.
»Die Leichen wurden hierher gelegt, damit Vögel und wilde Tiere sich das Fleisch holen konnten«, sagte Lanath mit seltsam tonloser Stimme. »Der Schädel wurde mit den Opfergaben in der Familiengrube beigesetzt.«
Elara sah ihren Verlobten überrascht an. Dass Lanath die Gabe besitzen sollte, die Geschichte eines Ortes auf diese Weise zu ›sehen‹, war ihr neu. Sie warf einen Blick auf Li-ija, als wollte sie sagen: Ich dachte, so etwas schlägt eher in dein Fach?
Ocathrels Tochter zuckte nur die Achseln und wandte sich ab.
»Es wird allmählich spät«, sagte Galara und erschauerte. »Sollten wir nicht zurückgehen? Der Abstieg wird sicher schwieriger als der Aufstieg.«
Alle waren erleichtert, als sie das Wachhäuschen hinter sich gelassen hatten. Doch der Pfad, den sie jetzt nahmen, führte nicht zu ihrem Lager zurück. Stattdessen betraten sie eine zweite, viel größere Anlage. Die Eckpfosten der Häuser waren umgefallen und verschwanden nahezu unter einem Gewirr von Kletterpflanzen. Die verwilderten Hecken mochten einst als Tierpferche gedient haben, und auf den Feldern wuchs immer noch sehr spärlich der hiesige Weizen.
»Das Dorf hier wirkt verlassen«, sagte Lanath, »so, als könnte jederzeit jemand zurückkommen. Doch zugleich auch so… als wäre es nie bewohnt gewesen.«
»Vielleicht hat man das alles nur für einen bestimmten Anlass gebaut«, überlegte Elara. »Der Führer sagte doch, die Menschen seien zu einem besonderem Fest hierher gekommen.«
»Wenn ihnen ihr Leben lieb war, wären sie besser fern geblieben«, sagte Li-ija. Ihre Stimme klang so sonderbar, dass Elara sich umdrehte. Sie stand ganz still und starrte einen Gegenstand an, den sie in der Hand hielt.
»Du hast eine Pfeilspitze gefunden!«, rief Karagon. »Ich wusste ja gar nicht, dass du Sehergaben besitzt. Was spürst du sonst noch?«
»Blut«, sagte das Mädchen, »und Hass. Rinder. Ein Überfall… Männer rennen davon… Feuerwände…«
»Diese
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