Die Akte Daniel (German Edition)
ein, Sie sind sogar jünger als ich. Darf ich Berenice sagen? Danke.« Sunday hakte sich bei ihr unter und zog sie in einen gemütlich eingerichteten Salon, ohne auf ihre Zustimmung zu warten oder gar auf ihre Verwirrung Rücksicht zu nehmen. »Das hier ist übrigens nur eine weitere Zweigstelle und Diadree und ich sind nur zu Besuch. Wir werden nachher zur Schule zurückfahren und können dich dann ja gleich mitnehmen.«
»Äh, ich sollte untersucht werden«, warf Berenice ein. »Und ja, du kannst mich Berenice nennen. Ich wurde nur von Jason so genannt. Es ist schön, einen Namen zu haben.«
»Ja, nicht? Und deiner ist besonders hübsch. Wusstest du, dass die Schwester von Königin Kleopatra so hieß? Die Untersuchung macht vermutlich Doktor Fearman, er sollte gleich vorbei kommen.«
Diadree war inzwischen mit einem Teller Kekse angerückt und hielt ihn Berenice hin.
»Ich bin eine Eule«, krähte sie. »Du bist auch ein Nachtling. Was für ein Tier bist du?«
»Äh, eine Katze«, gab Berenice etwas überrumpelt zurück und nahm sich einen Keks. »Wie viele Nachtlinge seid ihr? Ich meine, in der Schule?«
»Wir sind soooo viele«, antwortete ihr Diadree und hob ihre Hände. Ihre Finger waren abgespreizt. »Und noch sehr viel mehr.«
Berenice lachte. »So wenige?«, fragte sie ungläubig.
Sunday lachte mit. »Wir sind knapp dreißig Nachtlinge im Internat. Aber du wirst alle schnell kennenlernen. Wir können jede Nacht frei durch den Wald laufen. Es wird dir gefallen. Oh, und du musst unbedingt in meine Kreativklasse kommen. Du siehst aus wie jemand, der ein gutes Auge fürs Zeichnen hat. Und unsere Geschichten dürften dir sicher auch gefallen.«
Berenice überforderte das hier ein wenig. Sie glaubte, dass sie träumte.
»Und was ist, wenn ich ein Agent der Foundation , äh, der Firma bin?«, fiel es ihr siedend heiß ein. Was wenn man sie für einen Spion hielt? Dann war alles umsonst. Und sie träumte wirklich.
»Wir wissen, dass du keiner bist«, erwiderte Sunday schlicht. »Um das Haus herum ist eine Schutzbarriere. Jemand mit unlauteren Absichten wäre gar nicht bis zur Tür gekommen.«
Berenice sah ihn verwundert an.
Dann begriff sie. Dennoch schwindelte es ihr. Soviel war passiert. Und sie war hier!
Ihre Lippen zitterten. Dann musste sie weinen. Sie konnte es nicht verhindern. Das Schluchzen kam aus ihrem tiefsten Inneren und es tat weh.
Sunday nahm sie sanft in den Arm und streichelte ihr über den Rücken. Er konnte sich gut vorstellen, was das Mädchen alles mitgemacht haben musste, so behütet er selbst auch aufgewachsen war, aber er schwor sich, persönlich dafür zu sorgen, dass es ihr von nun an gut ging.
Berenice selbst war es peinlich. Aber erst nach einer ganzen Weile konnte sie sich wieder beruhigen. Sie fühlte sich mies und einfach nur elend.
Diadree sah sie mit großen Augen an. Erst jetzt bemerkte Berenice, dass auch das kleine Mädchen ihre Hand hielt. »Ich wollte dir keine Angst machen«, entschuldigte sich Berenice bei ihr.
Diadree schüttelte Kopf. »Manchmal muss man weinen, das hilft«, erklärte sie, und ihre grauen Augen wirkten plötzlich viel älter. »Geht es dir jetzt besser?«
»Ja, ein wenig«, musste Berenice zugeben. Sie wischte sich die Tränen weg. »Ich hätte schon eher fliehen sollen. Dann wäre Jason nicht so krank und es wäre alles früher besser geworden.«
»Hauptsache, du hast es jetzt getan. Jason ist derjenige, der dir geholfen hat, oder?«, fragte Sunday.
Berenice nickte. »Ja, hat er.«
Sunday musterte sie. Der einsame Funke in ihren dunklen Augen kam ihm nur zu bekannt vor: Er begegnete ihm jedes Mal, wenn er in den Spiegel sah, seit Daniel weg war.
»Miss Blackwood sagte, dass wir ihm vielleicht helfen können. Also siehst du ihn sicher bald wieder.«
»Aber er wollte sich nicht helfen lassen!«, rief Berenice. »Er hat Angst. Er denkt, dass man ihn ... ich weiß nicht. Er hat uns gefangen. Uns, Nachtlinge. Und er hat sie in das Labor gebracht. Er denkt, dass er betraft wird.«
»Trotzdem, der Ordo ist nicht die Firma. Sind seine Absichten gewandelt, hat er eine Chance, ganz sicher. Außerdem will er sicher nicht, dass du seinetwegen traurig bist, oder? Da wird er sicher einwilligen.« Sunday hoffte es zumindest. Die eigene Erfahrung hatte ihn gelehrt, dass Liebe nicht ausreichte, um alles gut werden zu lassen. Und dass Berenice mit dem Agenten der Firma mehr verband als nur Dankbarkeit, war ihm sofort klar gewesen.
»Ich habe ihm
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