Die Akte Golgatha
beiden zur Seite. Mit einem Pinsel und einer Spraydose brachte er an bestimmten Stellen des Laboratoriums Wolken von Graphitstaub auf, um dann mithilfe einer transparenten Klebefolie Fingerabdrucke zu nehmen. In unregelmäßigen Abständen gab der Mann anerkennende Laute von sich, aus denen man schließen konnte, dass seine Arbeit erfolgversprechend verlief.
»Commissario!« Der Mann im weißen Overall hielt plötzlich ein kleines weißes Etwas in die Höhe, eine Plastikampulle mit der Aufschrift: Chlorphenvinphos.
»Was ist das?«, erkundigte sich der Commissario, ohne die Ampulle in die Hand zu nehmen.
»Ein tödliches Insektengift! Soviel mir bekannt ist, gab es schon einige Morde mit diesem Gift.«
Der Commissario wandte sich an Signora Selvini: »Stammt die Ampulle aus Ihrem Labor?«
»Wir sind ein biotechnisches Labor und keine Giftküche!«, entgegnete die Signora unwillig und fuhr fort: »Langsam habe ich den Eindruck, Sie wollen mir einen Mord in die Schuhe schieben!«
»Ich will gar nichts! Aber vielleicht darf ich Sie darauf hinweisen, dass es nach den ersten Ermittlungen schwierig wird, Sie nicht mit dem Mord in Verbindung zu bringen. Was ich bisher von Ihnen gehört habe, spricht jedenfalls eher gegen als für Sie: eine Leiche in Ihrem Haus, eine Tote, deren Namen Sie kennen, deren Identität Sie jedoch abstreiten, eine respektable Summe Geld in Ihrer Tasche, gerade so viel wie die Tote, und dann wollen Sie behaupten, nichts damit zu tun zu haben, Signora?«
Da begann die Signora zu kreischen, er sei ein Kommunist oder Mafioso und was ihr in ihrer Erregung sonst noch einfiel, und überhaupt, rief sie mit blitzenden Augen, werde sie von nun an kein Wort mehr sagen und sie bestehe darauf, mit einem Anwalt zu sprechen.
Ein paar Augenblicke sah sie dem Mann von der Spurensicherung bei der Arbeit zu; dann hatte sie ihre Drohung vergessen, und an den Commissario gewandt, fragte sie: »Woher haben Sie eigentlich gewusst, dass diese Frau ermordet wurde und dass ihre Leiche hier zu finden ist?«
»Ein anonymer Anruf im Präsidium. Eine männliche Stimme mit fremdem Akzent sagte, im Istituto von Professore de Luca liege eine tote Frau. Solche Anrufe sind nicht selten, und wir glaubten zunächst an einen üblen Scherz. Deshalb schickten wir erst einmal einen Streifenwagen der Carabinieri her. Die fanden alle Türen offen, und nachdem sie das Untergeschoss durchsucht hatten, entdeckten sie hier oben die Tote.«
Der Gerichtsmediziner, ein jugendlich wirkender schlaksiger Mann mit dunklen, ins Gesicht gekämmten Haaren, was ihm das Aussehen eines römischen Cäsaren verlieh, hatte bislang unauffällig vor sich hingearbeitet. Nun nahm er seine Tasche, die er neben dem Eingang zum Laboratorium deponiert hatte, und machte Anstalten, ebenso unauffällig wieder zu verschwinden.
»Augenblick, Dottore!«, hielt ihn der Commissario auf, »Todeszeit?«
»Vor zwei bis drei Stunden.«
»Todesursache?«
»Schwer zu sagen. Sie erhalten meinen Bericht morgen bis 17 Uhr. Jedenfalls weist die rechte Armbeuge einen Einstich auf. Ob dieser mit dem Tod der Frau in ursächlichem Zusammenhang steht, kann ich erst morgen mit Bestimmtheit sagen.«
Inzwischen war es dunkel geworden, und der Mann von der Spurensicherung bedeutete dem Commissario, er könne die Leiche jetzt fortschaffen und in die Gerichtsmedizin überführen lassen. Zwei Männer, der eine klein und kräftig, der andere lang und schmal, kamen mit einem wannenartigen Plastiksarg ihrer Aufgabe mit unbeteiligter Miene nach.
An der Stelle, wo die tote Frau auf dem Labortisch gelegen hatte, begann der Mann im weißen Overall mit der Aufnahme weiterer Spuren. Dazu zählten zwei Haare, die er mithilfe einer Pinzette in ein transparentes Plastiktütchen steckte. Als er sicher sein konnte, dass keine organischen Relikte mehr zu finden waren, begann er nach Fingerabdrücken zu suchen und die gesamte Tischplatte zu bestäuben. Dabei machte er eine seltsame Entdeckung.
Zwischen verschiedenen Fingerabdrücken und wertlosen Schleifspuren löste sich aus dem aufgetragenen Graphitstaub ein deutlich erkennbares Zeichen: drei große lateinische Buchstaben, krumm und verschoben, so als wären sie blind und mit blanken Fingern auf den Labortisch geschmiert worden.
»Commissario, sehen Sie nur! Was hat das zu bedeuten?«
Der Commissario trat hinzu und las: IND. Er hob die Schultern und schüttelte den Kopf.
K APITEL 14
I n der sicheren Gewissheit, Schlesingers Coup auf der
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