Die Akte Golgatha
grübelten, wie sie mit den zehn Millionen Euro verfahren sollten. Im Haus konnte das Geld nicht bleiben. Das war viel zu riskant. Schließlich fassten sie den Entschluss, die Geldbündel in einen Karton zu packen und bei der Hypovereinsbank ein Schließfach anzumieten, zu dem sie beide Zugang hatten. Nachdem sie die Sache hinter sich gebracht hatten, aßen sie in einem schicken Restaurant in der Innenstadt zu Abend. Doch Gregor machte einen niedergeschlagenen Eindruck.
»Ich verstehe dich nicht«, meinte Francesca, »du kannst doch mit dem Ausgang der Dinge zufrieden sein!«
»Findest du?«
»Du weißt jetzt, wer die Drahtzieher der Verbrechen waren. Das war es doch, was du wolltest. Und die Organmafia wirst auch du nicht zerschlagen. Wenn Prasskov von der Bildfläche verschwände, würde ein anderer an seine Stelle treten.«
»Schon richtig«, erwiderte Gregor, »nur, wer Schlesinger ermordet hat, weiß ich bis heute nicht. Bekannt sind doch nur die Hintermänner!«
Francesca musterte Gregor von der Seite. »Gregor, du bist verrückt, du wirst dich noch zugrunde richten! Jetzt gib endlich Ruhe!«
Es war das erste Mal, dass Francesca gegen ihn aufbegehrte, und Gropius machte sich Gedanken, ob die Sache es wert war, ihre Liebe aufs Spiel zu setzen. Er hatte schon beinahe den Entschluss gefasst, es bei dem Erreichten bewenden zu lassen und der Polizei die völlige Aufklärung der Verbrechen zu überlassen, als er nach durchwachter Nacht frühmorgens vom Telefon geweckt wurde.
Wolf Ingram, der Leiter der Soko Schlesinger, teilte ihm mit, dass sein Fall, so drückte er sich aus, eine sensationelle Wende genommen habe. Um 9 Uhr 30 erwarte er ihn am Haupteingang des Klinikums.
Als Gropius zum vereinbarten Zeitpunkt vor der Klinik eintraf, wurde er von Ingram und zwei seiner Kollegen erwartet, die in ziviler Kleidung, aber bei näherem Hinsehen bewaffnet waren. In Kurzform, beinahe stichwortartig, setzte Ingram Gropius davon in Kenntnis, dass im westlichen Mittelmeer eine Yacht mit ein- bis zweihundert Menschen an Bord versenkt worden sei. Vermutlich hätten sich die Eigner des Schiffes, eine obskure Sekte, selbst in die Luft gesprengt. Der Name des Schiffes war: »In Nomine Domini – abgekürzt IND.«
Gropius gab sich Mühe, gelassen zu bleiben. »Und um mir das mitzuteilen, bestellen Sie mich hierher?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Ingram ungehalten. »Sie kennen die Räumlichkeiten und das Personal der Klinik am besten. Sie müssen uns helfen, den Mann zu finden, der für Schlesingers Tod verantwortlich ist.«
»Sie glauben doch nicht etwa, dass sich der Mörder noch immer in der Klinik aufhält!«
»Doch, das glauben wir. Unser Profiler hat gute Arbeit geleistet. Er kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Mörder um einen Sektierer handeln muss, einen, der nicht aus Hass oder Habsucht mordet, sondern aus verquerer Überzeugung. Er mordete ›In Nomine Domini – im Namen des Herrn‹ – wie das Schiff hieß, das im Mittelmeer unterging, die Zentrale des Ordens.«
»Pater Markus!«, murmelte Gropius leise. »Der Krankenhauspfarrer.«
Ingram nickte. »Sie kennen ihn! Was ist das für ein Mann?«
»Was heißt kennen. Er macht seinen Job wie jeder andere. Ein Kapuzinermönch mit etwas undurchsichtiger Vergangenheit. Ich habe mich nie dafür interessiert. Was ihn für so eine Tat prädestinieren würde, ist allerdings die Tatsache, dass er aufgrund seiner Stellung zu allen Stationen Zugang hat.« Gropius erinnerte sich noch gut, wie er den Geistlichen nach dem Tod Schlesingers aus der Intensivstation verscheucht hatte.
»Wo finden wir diesen Pater Markus?«
»Er hat im Souterrain ein Zimmer.«
»Also, worauf warten wir?« Ingram gab Gropius und seinen Kollegen ein Zeichen, ihm zu folgen.
Die Tür am Ende des langen, düsteren Korridors trug das Schild ›P. Markus‹. Sie war verschlossen.
Gropius rief seinen Namen, aber auch nach heftigem Klopfen kam keine Reaktion. Mit der Wucht seiner hundert Kilo warf sich Ingram gegen die Tür. Holz splitterte, die Tür sprang auf. Im Inneren herrschte Dunkelheit.
Mit vorgehaltener Waffe vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, trat Ingram ein und knipste das Licht an, eine kalte, grelle Neonleuchte an der Decke.
Inmitten des Raumes, der gerade drei mal vier Meter maß und mit einer Liege, einem alten Schrank und einem ausrangierten Schreibtisch möbliert war, stand ein zerschlissener Ohrensessel. Darin saß, scheinbar schlafend, Pater Markus. Der
Weitere Kostenlose Bücher