Die Akte Golgatha
Einen Augenblick standen sich Gregor und Felicia stumm gegenüber, dann meinte er: »Das Schicksal geht schon merkwürdige Wege.« Verstohlen drückte Gregor Felicia einen Kuss auf die Wange.
Anatol Rauthmann nickte zustimmend: »Wenn Sie mir bei unserer ersten Begegnung, damals am Tegernsee, prophezeit hätten, wir würden uns anlässlich unserer Verlobung wiedersehen, hätte ich Sie vermutlich für verrückt erklärt, Professor!« Dabei warf er Felicia einen verliebten Blick zu.
Gropius lächelte. In der Tat hatte er Rauthmann als einen kauzigen Typen in Erinnerung, der behauptete, er sei mit der Wissenschaft verheiratet. Nun stand ihm ein flotter Mann gegenüber, der sich von seinem Altherrenbart getrennt hatte und in einem eleganten weißen Dinnerjacket steckte. »Ich freue mich für Sie«, sagte Gropius. »Felicia ist eine wunderbare Frau.«
»Das finde ich auch«, entgegnete Rauthmann. »Jetzt wollen Sie natürlich wissen, wie wir uns nahe gekommen sind. Ich habe mich mehrere Tage bei Felicia aufgehalten, um den wissenschaftlichen Nachlass zu sichten. Die ersten drei Tage kam ich meiner Arbeit sehr konzentriert nach; aber auf einmal sah ich mich nicht mehr in der Lage, die Arbeit fortzusetzen. Als ich Felicia meine Gefühle gestand, meinte sie, ihr sei es genauso ergangen. Eine ziemlich verrückte Geschichte.«
Während Francesca von einem halben Dutzend Männern umschwärmt wurde, nahm Gregor Felicia beiseite und erzählte ihr, was in den letzten Wochen passiert war. Doch wie es schien, versetzte sein Bericht ihn selbst in größere Aufregung als Felicia. Gropius hatte sogar den Eindruck, als ob sie ihm nicht so recht glaubte.
»Hör zu«, meinte sie, als Gregor geendet hatte, »für mich ist der Fall Schlesinger schon lange abgeschlossen. Dieser Mann hat mich nach Strich und Faden betrogen, und seine Ermordung war nur die logische Folge all seiner Heimlichkeiten.«
»Du kannst wohl nie verzeihen?«
»Nein. Nicht einem Mann, der mich vier Jahre lang betrogen hat. – Und das Geld, die zehn Millionen?«, fragte sie unvermittelt.
»Die gehören dir. Die Leute, die sie zurückfordern könnten, ruhen auf dem Meeresgrund, irgendwo zwischen Barcelona und Mallorca, oder sie wurden von den Haien gefressen.«
Felicia hob ihr Champagnerglas und prostete Gregor zu: »Auf die Haifische!«
»Auf euch«, entgegnete Gropius. Dann fragte er: »Hat Rauthmann bei der Sichtung von Schlesingers Nachlass keine Hinweise auf dessen dunkle Geschäfte gefunden?«
»Nicht dass ich wüsste. Aber die Polizei machte dieser Tage eine Entdeckung, Schlesingers alten Citroën DS 21. Er war sein Ein und Alles. Arno hatte das Auto in einem Parkhaus in der Nähe des Klinikums abgestellt. Gott weiß, warum er das tat. Das Parkhaus forderte 1.300 Euro Parkgebühr von mir. Mir blieb nichts anderes übrig als zu bezahlen.«
Gregor leerte sein Glas in einem Zug. »Und wo befindet sich der Wagen jetzt?«
Felicia lachte spöttisch: »In der Schrottpresse, auf ein mal ein Meter geschrumpft. Ich konnte die alte Karre nicht mehr sehen.«
Gropius kam plötzlich eine Idee. »Wann war das?«, fragte er leise, aber mit eindringlicher Stimme. »Ich meine, wann wurde der Citroën abgeholt?«
»Ich weiß es nicht, vorgestern oder vor drei Tagen, der Wagen wurde vom Parkhaus direkt zur Verschrottung gebracht. Hat insgesamt noch einmal fünfhundert Euro gekostet. Aber ich schwöre dir, Gregor, das war der letzte Euro, den ich für Schlesinger ausgegeben habe!«
»Und wohin wurde der Wagen zum Verschrotten gebracht?« Gropius' Stimme klang aufgeregt.
»Wohin, wohin?« Felicia reagierte ungehalten. »Irgendwohin in den Osten der Stadt. Adebar oder so ähnlich. Warum fragst du? Das Auto ist völlig wertlos, heruntergekommen wie Schlesinger.«
»War es Adebar-Altmetall?«
»Ja, so hieß es. Aber sei mir nicht böse, an einem Tag wie diesem gibt es vielleicht auch interessanteren Gesprächsstoff als die Verschrottung von Autos.«
Gregor entschuldigte sich und suchte unter den Gästen nach Francesca.
Am nächsten Morgen hatte sich Gropius schon bei Tagesanbruch aus dem Bett gestohlen. Aus Furcht, sich doch noch zu blamieren, hatte er Francesca nichts von seinem Plan erzählt. Natürlich war ihr die innere Unruhe aufgefallen, die ihn am Abend zuvor auf einmal ergriffen hatte; aber sie wollte ihn nicht bedrängen.
Nun fuhr Gropius auf der Wasserburger Landstraße in östlicher Richtung. Er hoffte, dass die Schrottarbeiter ihren Auftrag noch nicht
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