Die Akte Kachelmann
glaubt fast jeder deutschsprachige Medienkonsument Bescheid zu wissen über die lange streng gehüteten Geheimnisse des Jörg Kachelmann. «Kein Mensch ist ohne Fehler, und ich habe in meinem Leben ganz sicher nicht alles richtig gemacht», wird der von den Enthüllungen, von den Verletzungen seiner Privatsphäre Betroffene einräumen, als ihn zwei «Spiegel»-Redakteure darauf ansprechen, «und ich habe auch nicht in jeder Phase meines Lebens monogam gelebt.» Schon im nächsten Satz relativiert Jörg Kachelmann: «Wenn ich mich in meiner Umgebung umgucke, da gibt es ganz viele, denen das auch nicht ganz optimal gelungen ist.» Dann schiebt er nach: «Ich hätte keiner Frau vorgaukeln dürfen, dass sie die Einzige ist.» Das belaste ihn psychisch, sagt der Wettermann.
Über die Jahre muss das amouröse Multitasking anstrengend gewesen sein, besonders wenn Geburts- und Feiertage, Familienfeste oder Beziehungsjubiläen anstanden. Die Geliebten hielt Jörg Kachelmann per E-Mail, Chat und SMS bei der Stange. Der Einfachheit halber bediente der Pragmatiker bisweilen mehrere von ihnen mit einheitlichen oder ähnlichen elektronischen Botschaften. Als er hinter Gittern sitzt, werden die Parallelbeziehungen zu den «Lausemädchen» das Medienpublikum faszinieren. Eine nach der anderen, aber nicht jede, wird bekannt werden. Die intimen Details und die moralische Fallhöhe machen die Strafsache Jörg Kachelmann zu einemheiß diskutierten Kriminalfall. Die Öffentlichkeit wird monatelang über die Enthüllungen debattieren, über die reißerischen, die entlarvenden, die persönlichkeitsrechtsverletzenden.
Den Boulevardstoff werden auch seriöse Medien ausschlachten. Das «Süddeutsche Zeitung Magazin» spürt gemäß eigenen Angaben «mindestens 18 Frauen, Freundinnen und Kolleginnen von Jörg Kachelmann» auf. Alle dürfen sich in einem langen Text, der in der Woche vor Prozessauftakt erscheint, anonym äußern. «Mich würde es nicht wundern», spekuliert «Kollegin 2», «wenn er es geschafft hätte, drei Frauen an einem Tag zu besuchen. Zu der einen morgens hingefahren, mit der Zweiten zu Mittag gegessen, und bei der Dritten kam er abends an.» «Freundin 3» soll gesagt haben: «Man kriegt nur seinen Charme und seinen Körper. Sein Herz und seine Seele kriegt man nicht. Aber da kommt man lange nicht drauf.» Sie weiß auch noch: «Er hätte auch ein Sektenführer sein können. Bei Sektenführern geht es doch auch immer um Frauen und Sex.»
Zu den Unterstellungen äußert sich Jörg Kachelmann nicht. Er wird sich monatelang überhaupt nicht mehr äußern. Anwälte raten in solchen Situationen zu öffentlichem Schweigen. Einzig gegenüber dem Zürcher «Tages-Anzeiger» wird er ein kurzes Statement zur Frage abgeben, warum er für viele zu einem großen Unbekannten geworden ist. «Vielleicht liegt es daran, dass ich in den vergangenen Jahren immer weniger in Europa war», sagt er. «Ich wollte jede freie Minute bei meinen Kindern in Kanada verbringen. Und wenn ich mal wieder in der alten Welt war, habe ich viel gearbeitet.» Es wird das erste und zumindest für lange Zeit einzige Mal sein, dass Jörg Kachelmann in den Medien Kanada und die Jungen überhaupt erwähnt.
In seinem privaten und engsten beruflichen Umfeld war der «Kuckuckskrieg» im Land der Holzfäller und Grizzlies seit Jahren Dauerthema. Er neige sich dem Ende zu, erzählte Jörg Kachelmann im Herbst 2009 in Europa. Danach hatten sich mehrere Parallellebenspartnerinnen gesehnt. Wegen der gerichtlichen Auseinandersetzung hatten sie ihre Ansprüche an ihren so belasteten Geliebten über Monate und Jahre zurückgestellt.
Die kollektive Rücksicht der Unwissenden endete abrupt, als Anwälte der beiden Streitparteien im Spätherbst 2009 vor dem Supreme Court of British Columbia einen Vergleich unterzeichneten. Mehrere Parallelpartnerinnen taten daraufhin dasselbe: Sie nehmen ihn nun beim Wort, fordern seine vollmundigen Versprechen ein, wie mehr Zusammensein, Zusammenziehen, vielleicht Kinderzeugen. Doch Jörg Kachelmann kann den breiten Erwartungen unmöglich Herr werden. Das System Kachelmann wird ihm nun zum Verhängnis. Es lässt ihn zum Jahreswechsel 2009/10 und in den ersten Wochen des neuen Jahres mehr denn je zum Gehetzten seiner Geliebten werden. Und zum Gehetzten seiner selbst.
Am 11. Februar 2010 um 13.44 Uhr, zwei Tage nach der Vergewaltigungsanzeige, googelt Staatsanwalt Lars-Torben Oltrogge in Mannheim nach einer dieser Frauen mit gestiegenen
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