Die Akte Kachelmann
nachwie vor einen guten Teil seiner Zeit in der alten Heimat. Aber hauptsächlich prägt er die Form der Wettervorhersage in deutschen Wohnzimmern von jenseits des Atlantiks. Doch diesseits soll niemand davon Wind bekommen. Zu viele Zuschauer könnten sich hintergangen fühlen, wenn sie erfahren würden, dass ihr Jörg Kachelmann ihnen ihr heimisches Wetter vor einer grünen Leinwand im kanadischen Seenland erklärt.
Jörg Kachelmann hütet aber noch ganz andere Geheimnisse. Geheimnisse, von denen nicht nur die Millionen Zuschauer nichts wissen dürfen. Auch aus dem kleinen Kreis der sonst Eingeweihten innerhalb der ARD und bei seinem Wetterdienstleister Meteomedia erfahren einige lange nicht, dass er nicht allein in die nordamerikanische Wildnis gezogen ist, sondern mit einer Kleinfamilie, seiner Kleinfamilie. In die Neue Welt begleitet haben ihn eine Wirtschaftsprüferin aus der Schweiz und ein kleiner Junge.
Doch nun werden die Geheimnisse eines nach dem anderen publik werden und für Jörg Kachelmann zu einem schier unüberwindbaren Problem: Menschen aus dem nächsten Umfeld des Wettermoderators werden sich hintergangen fühlen und dem Beschuldigten, den sie gut zu kennen glaubten, auf einmal vieles zutrauen. Einige werden innerhalb kürzester Zeit von vermeintlichen Entlastungs- zu Belastungszeugen.
Wer den Fall Kachelmann verstehen will, muss das Vorleben und die Wahrnehmung der Hauptperson in den Grundzügen kennen.
Männer hatten oft einen netten, lässigen, beredeten, kumpelhaften Kachelmann kennengelernt. Frauen erlebten den Wettermann als aufmerksam, zuvorkommend, oft flirtend. Mehrere von ihnen, die ihm ganz nahe kamen, beschrieben ihn als liebe- und respektvoll, als feingeistig und -fühlig. Doch nach der Verhaftung werden viele die Schattenseiten betonen, vielleicht überbetonen, die sie mit der Zeit auch bemerkt hätten. Sie werden von Abgründen erzählen, die sich mit den vielen TV-Jahren und mit der Popularität aufgetan hätten. Der zotige Witz sei deftiger und deftiger geworden. Aus dem schrägen, von jeher schwarzen Humor und derSelbstironie, die so viele an Jörg Kachelmann mochten, sei Sarkasmus geworden. Der immer schon Sensible und Rastlose sei mehr und mehr auf Achse gewesen. Rasant und gereizt habe er sich durch all die Hochs und Tiefs seines Lebens bewegt. Gerichtspsychiater Hartmut Pleines, der Kachelmann begutachten wird, spricht von «einer Persönlichkeit, die den Anforderungen des Lebens immer wieder gewachsen ist», aber auch von «einem vielschichtigen Menschen mit widersprüchlichen Impulsen, Wünschen und Trieben».
In Kanada hatte das Schweizer Auswandererpaar zwei Firmen gegründet. Symbiotisch produzierte es TV-Wetter. Ihm gehörte The Weatherman Inc., ihr The Camerawoman Inc. Wettermann und Kamerafrau heirateten 2004 am Bridge Lake, ein zweiter Junge kam dazu und zwei Jahre nach der Trauung bereits die Trennung. Allerdings dauerte es bis Ende 2009, bis der Supreme Court of British Columbia die Ehe schied.
In all den Jahren hat Jörg Kachelmann herumerzählt, er trage mit einer «Kuckucksmutter» in Kanada einen kräftezehrenden Kampf aus, damit er die beiden geliebten Jungen weiterhin regelmäßig sehen dürfe. Der Wettermann und die Kamerafrau führten einen Rosenkrieg. Im Verfahren, das in British Columbia unter der Registernummer E062556 lief, ging es allerdings nicht erster Linie um das Sorgerecht, sondern um viel Geld.
Gegenüber der Presse hatte sich Jörg Kachelmann, der frühere Boulevardjournalist beim «SonntagsBlick» in Zürich und beim People-Magazin «Schweizer Illustrierte», stets über Privates ausgeschwiegen. Sein Liebes- und Sexualleben war eine publizistische Tabuzone geblieben. Mit einer verstörenden Ausnahme: In einer TV-Diskussion über den belgischen Kinderschänder Marc Dutroux hatte Jörg Kachelmann 1996 von einem sexuellen Übergriff erzählt – mit ihm in der Opferrolle. Sein ehemaliger Chef, bei dem er als Student habe wohnen dürfen, habe ihn einmal in jungen Jahren im Intimbereich berührt. «Er hat mir», offenbarte Kachelmann beim Lokalsender TeleZüri, «unters Pyjama gelangt!» Der «Blick», das schweizerischePendant zur «Bild»-Zeitung, kochte das Ganze zu einer «Pyjama-Affäre» hoch.
Jörg Kachelmann gehörte damals, Mitte 90er-Jahre, in der Schweiz zur sogenannten «Cervelat-Prominenz». Diesem Kreis bekannter öffentlicher Personen, benannt nach einer omnipräsenten helvetischen Wurst, entschwand der TV-Meteorologe schon
Weitere Kostenlose Bücher