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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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Radiomoderatorin eine Woche nach ihrer Anzeige erstellt. Allerdings beginnt der Text mit der angeblichen Tatnacht. Die letzte Änderung verfasst Sonja A. eineinhalb Monate später, unmittelbar bevor die Polizei ihren Computer abholt, damit sie ihn auswerten kann. Nicht mehr feststellen können die Computerspezialisten, wann genau Sonja A. welchen Teil geschrieben hat und wann sie was änderte.
    Jörg Kachelmann twittert. Seine Kurzmitteilungen in den ersten olympischen Tagen beschränken sich aufs Wetter, sie sind nüchtern, frei von seinem kantigen Humor. Doch mit der Zeit fängt «JK» auf Twitter wieder an, nach kachelmannscher Art zu witzeln. Schließlich zeigt er via Internet-Kurzbotschaften patriotische Regungen, wenn einer seiner Eidgenossen Gold gewinnt. «Mike!», schreibt er nur oder «Simi!».
    Sonja A. verfolgt, was Jörg Kachelmann in Vancouver öffentlich tut. Und sie arbeitet an ihrem «warum.doc». Andere Frauen, schreibt sie in einem Stakkato an Sätzen unter dem Datum 21. Februar, fänden einen Mann, der sie aufrichtig liebt, sie gerate an dieses Monster. Er habe ihren Körper geschändet und ihre Seele getötet. Aber sie werde kämpfen. Er kriege sie nicht klein. Er nicht.
    Beim Eintrag, der vom 25. Februar stammen soll, heißt es: Sie wolle nicht als die vergewaltigte Ex von JK in die Geschichte eingehen. Auf die jeder mitleidig herabschaut. Dieses Stigma werde sie doch nie wieder los. Sie wolle nicht, dass ihr Name publik werde.Dass ihre Familie in die Öffentlichkeit gezerrt und durch den Dreck gezogen werde. Sie wolle sich schützen, aber wie? Vorsorglich lässt Sonja A. ihr Foto auf der Radio-Sunshine-Homepage löschen. Bald wird sie die bekannteste Unbekannte im ganzen Land sein. Als Medienvertreter anfangen, nach ihr zu suchen, finden sich kaum mehr Spuren von ihr im Internet.
    Die Zeugen aus dem ARD-Olympia-Studio werden sich vor allem an zwei Begebenheiten erinnern. Unvergessen bleibt, wie der Wettermann seine beiden Jungen dem Team vorgestellt hat, als sie zu Besuch gekommen waren. Mehrere Kollegen berichten der Polizei auch, wie Jörg Kachelmann sie ins olympische Schweizerhaus eingeladen hat. In der rustikalen Festhütte lässt er laut einem ARD-Vorgesetzten reichlich helvetische Spezialitäten und guten Wein auftischen. Das ist das Spektakulärste, was die Fernsehleute aussagen.
    Spannender scheint den Ermittlern eine weitere mysteriöse Botschaft, auf die sie stoßen, als sie bei Kachelmanns Haussender in der ARD, dem Mitteldeutschen Rundfunk, nachforschen. Am Tag zwei nach der fatalen Nacht von Schwetzingen hat Jörg Kachelmann eine E-Mail an den MDR-Fernsehdirektor Wolfgang Vietze verfasst, welche die Fahnder elektrisiert. Gleich in der ersten Zeile unter der Anrede «Sehr geehrter Herr Direktor» spielt der Moderator auf die langwierige Trennung von seiner Partnerin in Kanada an: «Das akute transatlantische Terror-Elend ist nun zwar vorbei, dennoch dauert die seelische Verarbeitung dieser jahrelangen Vorgänge und diejenige von ein paar Ereignissen in meinem Leben, die länger zurückliegen, länger als gewünscht. Auf ärztlichen Rat und auch nach meiner Einschätzung werde ich wohl nicht (mehr) in der Lage sein, irgendetwas Längeres und Anderes als Wetter zu moderieren, ohne Gefahr zu laufen, als Deisler reloaded oder als Heulsuse der Nation oder Schlimmeres in die Geschichte einzugehen.»
    Sebastian Deisler war einer der talentiertesten Fußballer um die Jahrtausendwende. Er stammt, wie Eisenbahnersohn Jörg Kachelmann,aus dem süddeutschen Grenzstädtchen Lörrach. Geplagt von schweren Depressionen und vielen Sportverletzungen musste der Bayern-München-Spieler seine Karriere früh beenden.
    Ganz so schlimm stehe es um ihn nicht, versichert der Weatherman aus British Columbia seinem Auftraggeber in Leipzig. Seine Psyche – so heißt es weiter in der E-Mail – sei robust genug, «um jetzt bei den Olympischen Spielen das Wetter vorherzusagen (danke für diese Chance und keine Sorge, das ist kein Problem), aber für mehr reicht es in diesem Leben wohl nicht (mehr)».
    Der Verfasser will künftig weiter in der ARD vorhersagen, wann die Sonne scheint, aber für den MDR keine Talksendungen mehr moderieren. Mit dieser E-Mail ist die geplante Wiederaufnahme von «Kachelmanns Spätausgabe» vom Tisch. Sagt der Schweizer in Kanada wirklich nur wegen des «transatlantischen Terror-Elends» und länger Zurückliegendem ab? Oder nagt auch Aktuelleres an seiner Seele?
    Von der Absage an

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