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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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Interviewpartner begehrt, aber auch berühmt-berüchtigt dafür, dass er das Gespräch beendet oder aufs Wetter lenkt, wenn es ihm zu persönlich wird. Fragt jemand nach dem Liebesleben und hat Jörg Kachelmann gute Laune, pflegt er zu antworten: «Zurzeit ist meine Arbeit auch mein Privatleben» oder «Alles immer schön bürgerlich». Dann folgt ein Standardspruch: «Aber ich halte Sie selbstverständlich auf dem Laufenden, falls sich da was ändern sollte.» Selbstverständlich meldet sich Jörg Kachelmann nie mit einem neuen Beziehungsstatus. Öffentlich vermittelt er höchstens mal den Eindruck, er sei ein unvermittelbarer Single.
    Nur ein einziges Mal ist alles ein bisschen anders: Eine Reporterin des «Magazins» des «Tages-Anzeigers» hat Jörg Kachelmann 2007 in 1151 Metern Höhe in seinem Schweizer Firmensitz, einem alten Landschulheim im Appenzellerland, besucht. Hier gibt Kachelmann ein Interview lang etwas mehr Privates preis.
    «Sind in Ihrem Gedächtnis besondere Tage an Wettererinnerungen gekoppelt?»
    «Ich bin ein Mann, ich hab kein Erinnerungsöstrogen. Frauen können das, die wüssten auch das Wetter, das war, als man sich zum ersten Mal traf. Ich weiß gar nichts mehr, nicht mal das Wetter.»
    «Wo ist Ihr Zuhause?»
    «Im Moment bin ich einigermaßen heimatlos.»
    «Richtig ohne festen Wohnsitz?»
    «Ja, schon eine Weile. Ich hab hier meine Notschlafstelle, aber es ist logistisch ziemlich kompliziert: zu gucken, in welchem Hotel habe ich genug Zeit, um mal zu waschen. Ein klassischeres, spießigeresSetting, denke ich manchmal, könnte auch angenehm sein. Aber erst mit dem Alter fange ich nun an, darüber nachzudenken, wo ich mal sein will.»
    Drei Jahre später, als Jörg Kachelmann 130 Nächte in der Justizvollzugsanstalt Mannheim verbringt, nimmt die Leserschaft seine Worte anders wahr. Seine Appenzeller «Notschlafstelle» existiert zwar noch. In einem Zimmerchen unter dem Dach, in dem einst schwierige Kinder aus der Stadt Zürich hausten, steht ein Bett, das aussieht wie eines aus der Jugendherberge. Während Jörg Kachelmann hinter Gittern sitzt, wird bekannt werden, dass der 52-Jährige zuvor nicht nur hier und in Hotels genächtigt hatte. Über den prominenten Inhaftierten wird, wer es wissen will, erfahren, dass er nicht etwa nur ein Doppel- oder Dreifach-, sondern ein Mehrfachleben geführt hat. Dass er parallel mit Partnerinnen in drei Ländern und auf zwei Kontinenten verkehrte, die nichts oder wenig voneinander ahnten. Irgendwie hat er es geschafft, mit mehreren Frauen gleichzeitig zusammenzuleben, jahrelang.
    «Bei jeder Messstation hat er eine Freundin», haben sie in guten Zeiten in seiner Meteomedia AG gewitzelt. Jörg Kachelmann erhebt mit seinem Unternehmen an 830 Orten in Europa Wetterdaten. Als der Chef verhaftet wird, bleibt den Mitarbeitern das Lachen im Hals stecken. In der Firmenzentrale werden sich jetzt, in schlechten Zeiten, verzweifelte Frauen melden. Mehrere halten sich für die aktuelle Lebenspartnerin des Neuzugangs in der Mannheimer JVA.
    Neben der ehemaligen Ehefrau in Kanada und Sonja A. haben viele Frauen über Monate oder Jahre geglaubt, sie seien die Einzige oder zumindest die Wichtigste an der Seite Jörg Kachelmanns.
    Der Heimatlose, der Nomade, der Showmaster hatte sich Parallelwelten geschaffen, mit einer Partnerin und oft mit Plänen für eine rosige Zukunft zu zweit in einem gemeinsamen Haus. Es existierten eine Kanada-Welt, eine Norddeutschland-Hiddensee-Welt, eine Schwetzinger Welt, eine Bodensee-Welt, zwei Ostschweizer Welten, es existierten weitere. Nur der Erschaffer kannte sie alle. Wenn es sich nicht verhindern ließ, gewährte der Mann mit dem Lausbubenlächelnund dem Fünf-, Sechs-, Siebentagebart einem Weggefährten beschränkten Einblick in eine seiner Welten. Einige in seiner Appenzeller Firmenzentrale waren eingeweiht, dass Kachelmann zuletzt mit einer Frau im nahen Weissbad Tisch und Bett teilte. Doch kaum jemand hatte gewusst, dass er nebenbei mit einer weiteren Frau im Nachbarkanton St. Gallen ein Häuschen gemietet hatte.
    «Lebensführungsfehler» wird Jörg Kachelmann das im Strafverfahren nennen, was er Sonja A. und anderen Frauen angetan hat. «Ich hatte noch andere feste Beziehungen in der Form», wird der prominenteste Untersuchungshäftling der Bundesrepublik kurz nach seiner Verhaftung dem Mannheimer Amtsrichter erzählen, «nicht nur nacheinander.»
    Vier Monate und zahlreiche Enthüllungen später, bei seiner Freilassung,

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