Die Akte Kachelmann
Ansprüchen. Ihren Namen, Lena G., hat er den Flugticket-Kopien entnommen. Die Internetsuchmaschine landet mehrere Treffer. Oltrogge druckt sich die Internetseite einer Personalberatung aus. Unter «Ihre Ansprechpartner vor Ort» findet sich bei «Hamburg» das Bild einer jungen Frau. Die Dunkelhaarige mit dem hübschen schmalen Gesicht, so wird sich herausstellen, ist weit häufiger als das eine aktenkundige Mal nach Kanada geflogen – mit oder zu Jörg.
Olympische Spiele
Für die dritte «Geschädigten-Vernehmung» hat die Polizei ihr Team ausgewechselt. Sonja A. wird jetzt von Karen M., jener Polizistin in ihrem Alter, befragt. Dazu setzt sich Kriminalhauptkommissar Horst D.
Sonja A. hat erstmals einen Anwalt mitgebracht zur Schwetzinger Polizei: einen massigen Mann mit Glatze, der sanft wirkt, wenn er spricht, was im Kachelmann-Verfahren nicht oft geschieht. Häufig betraut die Organisation Weißer Ring, die Gewaltopfern beisteht, Thomas Franz mit schwierigen Fällen. Die Polizisten belehren Sonja A., dass sie sich strafbar macht, wenn sie jemanden falsch beschuldigt. Die dritte Befragung erstreckt sich, mit Unterbrechungen, über fünf Stunden. Mittendrin muss der «Verletztenbeistand» kurz weg zu einem anderen Termin. Thomas Franz kommt gerade zurück in die Polizeiwache, als seine Mandantin – fatal für sie – nicht die Wahrheit sagt.
Es ist Mittagszeit am 11. Februar 2010 und die Ermittler kommen nochmals auf den anonymen Brief und die Flugticket-Kopien zu sprechen. Wann sie den Umschlag denn erhalten habe, fragen sie. Am Montag, am Tag vor der Tatnacht, hätte er im Briefkasten gelegen, behauptet Sonja A. Die Polizisten merken nicht, dass sie lügt. Ob sie eine Ahnung hätte, wer ihn geschickt haben könnte, wollen sie noch wissen. Nein, sagt Sonja A. Sie habe sich bei der Frau, deren Name auf dem Ticket stand, nicht gemeldet. Auch das stimmt nicht.
Doch noch sehen die Ermittler keinen Anlass, Sonja A. nicht zu glauben. Was die Radiomoderatorin über ihre enttäuschte große Liebe erzählt, mutet zwar bisweilen nicht alltäglich, vielleicht sonderbar an. Doch vieles davon wird sie belegen können: Dass Jörg ihrgerade in letzter Zeit eine gemeinsame Zukunft versprach, geht aus Chatprotokollen hervor, und dass er sich ein Kind von ihr gewünscht hat. Auf elektronischem Weg hat er das zumindest beteuert. Sonja A. erzählt von einem Haus im Schwarzwald, im Örtchen Herrenschwand. Wir, sagt sie, wollten es zu unserer Basis machen, zu unserem Zuhause. Auch das sei seine Idee gewesen. Die Handwerker habe er bereits bestellt.
Ganz am Schluss will die Polizei von Sonja A. wissen, was sie im Augenblick für Jörg Kachelmann empfinde. Eine Mischung aus Hass und Wut, antwortet Sonja A., und Trauer, dass es vorbei ist, dass sie ihn verloren habe. Sie verstehe es selbst nicht, aber sie vermisse ihn. Sie vermisse die glückliche Zeit, die elf Jahre. Gleichzeitig habe sie Angst vor ihm.
Parallel zur dritten «Geschädigten-Vernehmung» in Schwetzingen kommt es jedoch zu einem kurzen, aber folgenschweren E-Mail-Austausch zwischen Kanada und Hamburg, der Lena G. verstört. Die Personalberaterin hat einen Link zu einer Krankheit erhalten. Darüber habe sie sich mit Jörg Kachelmann später an einem Februartag am Telefon unterhalten, wird die vermeintliche Entlastungszeuging aussagen, als sie zwei Monate später bei der Schwetzinger Polizei zur Belastungsanzeugin wird. Kachelmann habe gesagt – sofern es Lena G. korrekt wiedergibt –, es gehe ihm nicht gut: Er sei in ein Loch gefallen, wegen der jahrelangen Auseinandersetzung um die Kinder.
Dies alles würde zu einem verstörten Flüchtigen passen. Allerdings: Würde einer, der weiß, dass er etwas Schlimmes getan hat, solch verräterische Botschaften verschicken? Das müssen sich die Ermittler fragen, als sie von der Kommunikation erfahren. Und doch werden sie denken: Es passt irgendwie zu dem, was Sonja A. erzählt. Von den vorgekochten Nudeln mit Bolognesesauce. Auf der Couch hätten sie gegessen, beteuert die Radiomoderatorin, wie immer. Vom Pinot Grigio habe sie, nervös wie sie gewesen sei, einen Schluck getrunken oder zwei und auch er kaum mehr als ein halbes Glas. Nach dem Essen habe sie ihren ganzen Mut zusammengenommen und ihn mit den Flugtickets und dem anonymen Brief konfrontiert.Fälschungen müssten das sein, habe er, äußerlich angeblich die Ruhe in Person, behauptet. Er brauche 24 Stunden, um die Sache mit der Lufthansa zu klären. Sie habe ihm
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