Die Akte Kachelmann
ihres Gutachtens publik werden, bevor dieses eine Woche alt ist. Vielleicht irritiert und entsetzt es sie auch, wie einseitig der «Spiegel» ihre Expertise interpretiert.
Im achtseitigen «Spiegel»-Dossier mit der entlastenden Kachelmann-Enthüllung steht, das Greuel-Gutachten, 126 Seiten dick, sei für die Mannheimer Ankläger «ein Desaster». Die Aussage von Sonja A. enthalte zu viele Mängel, als dass sich die Vergewaltigung als echtes Erlebnis belegen ließe. Wenigstens nicht mit aussagepsychologischer Methodik. Die Schilderung von Sonja A. leide unter starken Defiziten. Sie erfülle nicht einmal die Mindestanforderungen, was logische Konsistenz, Detaillierung und Konstanz betrifft. Das alles steht so im Fazit von Luise Greuel. Doch auch der «Spiegel» hat, freundlich gesagt, getrickst.
Wäre alles so eindeutig, wie er es darstellt, würde Johann Schwenn zu Beginn der Adventszeit kaum den Antrag stellen, Luise Greuel wegen Befangenheit als Sachverständige abzulehnen. Jörg Kachelmanns späterer Strafverteidiger würde der Gutachterin kaum vorwerfen, sie sei mit «Jagdneigung» an das Verfahren herangegangen. Und auch nicht, sie habe einen Auftrag der Staatsanwaltschaft in ein Gutachten umgesetzt, um seinem Mandanten zu schaden.
Montag ist «Spiegel»-Tag, ist «Focus»-Tag, ist 2010 oft Kachelmann-Tag. Der «Spiegel» verteidigt mit. Der «Focus» bringt das Belastende vor, meist zeitnah und immer einseitig. Er zieht Parallelen vom mythischen Narcissus des Ovid zum Vielleicht-Narzissten Jörg Kachelmann der Luise Greuel. Im «Spiegel» steht davon kein Wort. Auch nur im «Focus» lässt sich lesen, dass Luise Greuel eingeräumt hat, dass sie im Fall Kachelmann mit ihren wissenschaftlichen Methoden an Grenzen stoße. Sie weiß, dass die intelligente und sprachgewandte Sonja A. nicht nur fähig ist, eine Falschaussage zu konstruieren, sondern auch aufrechtzuerhalten. Nach elf Stunden Exploration kann sie nicht sagen, ob der Erzählung von der Vergewaltigung ein Erlebnis, eine Einbildung oder eine Erfindung zugrunde liegt.
Daran stört sich die Verteidigung kaum. Das, was Greuel überdie Aussagequalität von Sonja A. schreibt, hält Johann Schwenn sogar für «einigermaßen gelungen». Aufregen wird er sich aber darüber, dass die Wissenschaftlerin auch Mutmaßungen über die Psyche seines Mandanten angestellt habe: Jörg Kachelmann könnte, so eine der greuelschen Denkvarianten, in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2010 zutiefst gekränkt worden sein, als seine devot erlebte Intimpartnerin ihn plötzlich abwies. Ein derartiger Kontrollverlust könnte ihn zu einer Gewalttat bewogen haben. Psychologisch schlüssig ließe sich laut Greuel mit einem eventuellen Omnipotenzgefühl erklären, weshalb ein Täter seine Waffe am Ort des Geschehens liegen lässt und ohne Bedenken aus dem Ausland nach Deutschland zurückkehrt. All das führt Luise Greuel in ihrem schriftlichen Gutachten aus – in drastisch klingendem Fachvokabular und einer mit Vorbehalten versehenen wenig vorteilhaften Charakterisierung Jörg Kachelmanns. «Spekulationen» seien das, wird Johann Schwenn sagen, alles «Spekulationen». Hier habe eine Anhängerin «radikalfeministischer Theorie» ihre Kompetenz weit überschritten und «mal eben so nebenbei noch ein Gutachten über Herrn Kachelmann angefertigt», ohne seinen Mandanten selbst gesprochen zu haben. Das Mannheimer Landgericht wird das Gutachten für ausgewogen halten und Luise Greuel für unbefangen.
Am Berg
Der Schwäbrig ist für schweizerische Verhältnisse kein richtiger Berg. Ein «Hoger», sagen die Einheimischen, ein markanter Höcker, davon gibt es im Appenzellerland Dutzende. Doch die Angestellten von Meteomedia, viele Flachländer, einige Deutsche, sagen, sie seien «auf dem Berg», wenn sie auf dem Schwäbrig arbeiten. Hier auf 1151 Metern Höhe produzieren sie Wetternachrichten für die ARD und für etliche andere Kunden. Für die Medien-Meteorologen ist dieser Berg ein Idealfall, da er im Winter meistens aus dem Nebelmeer hinausragt. Liegt eine zähe Wolkendecke über dem Schweizer Mittelland, trübt oft kein Wölkchen den Blick vom Meteomedia-Hauptsitz auf das Alpsteinmassiv mit seiner höchsten Erhebung, dem erhabenen schneeweißen Säntis.
Oben blau, unten grau, verkünden die Sonnenverwöhnten vom Schwäbrig dann auf allen Kanälen. Doch seit dem 22. März 2010 gilt im Sitz des Wetterdienstleisters, unabhängig von der Nebelgrenze, oben grau, unten grau. In
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