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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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unmittelbar danach das zweitkleinste Messer aus ihrem Küchenset. Beim Blutrestchen zwischen den Zähnchen an der acht Zentimeter langen Klinge, so hat sich herausgestellt, handelt es sich um eine winzige Spur, die sich kaum im Sinne der Anklage deuten lässt. Nicht nur an der Schneide, sondern nirgendwo am Messer ließ sich etwas finden, was auf Jörg Kachelmann als bewaffneten Sexualstraftäter hindeutet. «Es gibt keine Hinweise darauf, dass mit dem Rücken oder der Spitze Verletzungen herbeigeführt wurden», wird der LKA-Biologe vor der 5. Großen Kammer des Landgerichts erläutern. Alle Experten, vier davon in der Hauptverhandlung, werden sich einig sein: Wenn es so war, wie Sonja A. sagt, müssten mehr Spuren von ihr an der Klinge zu finden sein. Und mehr von ihm am Griff, falls Jörg Kachelmann ihr tatsächlich das Messer lange Minuten an den Hals gedrückt hat.
    Allerdings wird die Staatsanwaltschaft einwenden: Hätte Sonja A. eine Spurenlage nach einem Sexualverbrechen arrangieren wollen, hätte sie wohl kaum vergessen, ihre DNA an der Klinge zu hinterlassen. Vielleicht sind auch Spuren verlorengegangen, vielleicht wurde das Messer abgewischt. Doch die Anklagebehörde weiß zu gut: All diese Gedankenspiele sind keine Beweise gegen den Beschuldigten und nicht einmal starke Indizien.
    Aus der Untersuchung der Kriminaltechnik bleibt wenig Belastendes. Es bleibt vielleicht der Tamponfaden, den Jörg Kachelmann zuerst gar nicht und dann vermutlich nicht angefasst haben will. AmFaden hat der LKA-Biologe ein DNA-Muster nachgewiesen, dass jenem des Angeklagten stark ähnelt. Im molekulargenetischen Gutachten schreibt er mit vorverurteilenden Worten, dies «bestätige» die von der «Geschädigten» geschilderte Tatversion: dass der Verdächtige ihr den Tampon entfernt habe.
    Doch daraus ergeben sich technische Fragen allgemeiner Art: Könnte ein Täter einem liegenden Opfer permanent das Messer an den Hals drücken und gleichzeitig einen Tampon rausziehen? Bräuchte er dafür – und auch davor und danach – nicht eine dritte Hand, um sich abzustützen? Beisitzer Joachim Bock wird in diesen Punkten insistieren. Die Verteidigung wird publik machen, womit Bock Sonja A. in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung konfrontiert hat: Wie lässt sich ein Tampon überhaupt gewaltsam rausziehen, wenn sich eine Frau wehrt? Bock «provoziert» Sonja A. mit seinen Fragen, wie er selbst einräumt. Und zwar bis Sonja A. entnervt zurückfragt, ob der Richter mit solchen Dingen Erfahrung habe. Das mündliche Gutachten des LKA-Biologen am 20. Dezember 2010 muss Jörg Kachelmann vorkommen wie ein frühes Weihnachtsgeschenk. «Kachelmann entlastet», wird die Nachrichtenagentur DPA titeln, «keine eindeutigen Spuren am Messer».
    Die Fingerabdrücke kommen am zweitletzten Verhandlungstag im Horrorjahr des Wettermoderators und der Radiomoderatorin nicht einmal mehr zur Sprache. Am Messer haben sich keine finden lassen, die sich verwerten ließen. Was über die so belastenden Spuren durch die Presse ging, war eine Falschmeldung. Doch jetzt, acht Monate später, wird sie niemand berichtigen.
    Luise Greuel ist noch etwas vielleicht Entscheidendes aufgefallen, als sie das kriminaltechnische Gutachten studierte. Gegen Ende des zweiten gemeinsamen Tages in der Schwetzinger Polizeidienststelle spricht sie ihre Probandin darauf an. Wie so oft gibt die Aussagepsychologin nicht viel mehr als ein Stichwort: Es fanden sich, sagt sie diesmal nur, viele Spuren von Geschlechtsverkehr, verteilt auf der Bettwäsche. Aha, sagt Sonja A. Einfach Aha. Daraufhin konfrontiert Greuel sie mit ihrer Schlussfolgerung aus dieser Spurenlage: DasBild, das sich biete, erläutert sie, würde eher zu variantenreichem Sex passen als zu monotonem Missbrauch. Das, sagt Sonja A. nun, könne sie erklären: Sie habe ihre Bettwäsche in Herrenschwand mit dabeigehabt. Dort, im Schwarzwald, so hat die Zeugin bereits mehrfach den Ermittlern erzählt, habe Jörg Kachelmann drei Wochen vor der fatalen Nacht das letzte Mal «legal», wie sie sagt, mit ihr geschlafen. Nie erwähnt hat sie in bislang fünf Vernehmungen, sie habe danach ihr Bett Zuhause mit der benutzten Wäsche bezogen. Sie sei da nicht so kompliziert, erklärt sie jetzt erstmals, ein paar Flecken machten ihr nichts aus.
    Ganz zum Schluss der Exploration, nach elf intensiven Stunden, gibt Luise Greuel Sonja A. die Möglichkeit, um, wie sie sagt, nachzubessern. Vier Mal nacheinander. Doch Sonja A. erwidert nur: Sie

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