Die Akte Kachelmann
Kachelmanns Firma oberhalb des Dorfes Gais hatten sie aus den Medien von der Inhaftierung des Gründers erfahren. In der deutschen Zentrale in Bochum ebenso. Lediglich der Geschäftsführer Frank-B. Werner, der Deutsche mit Zweitwohnsitz im Appenzellerland, war bereits am Sonntag von Rechtsanwalt Reinhard Birkenstock darüber informiert worden, was Jörg Kachelmann geschehen war. Er, einer der wichtigsten Weggefährten des Wettermanns, konnte die Neuigkeit ebenso wenig glauben wie einen Tag später jeder Mitarbeiter.
Auf dem Berg und im Ruhrpott hatten sie den Chef in den vergangenen Jahren zwar nicht allzu oft gesehen, aber sie bewunderten ihn und trauten ihm das, was sie nun an Vorwürfen lasen und hörten,nicht zu. «Wir halten das Ganze für ein Missverständnis», sagte Meteomedia-Sprecherin Stephanie Schleß, «das sich sicherlich schnell aufklären wird.» Sie irrte.
Eine Woche voller Notmaßnahmen später, am 30. März 2010, reiste Frank-B. Werner nach Mannheim. Kurz vor Mitternacht desselben Tages schrieb er eine E-Mail an den «everybody»-Verteiler von Meteomedia. Alle 110 Meteomedia-Angestellten erfuhren so, dass Werner «JK» in der JVA «in guter körperlicher Verfassung» angetroffen hatte. Kachelmann habe «aufgeräumt aus dem Gefängnisalltag erzählt». Er habe berichtet, dass er in eine Einzelzelle umziehen durfte und «sich nicht mehr mit Totschlägern und Dealern umgeben muss». Mittlerweile verfüge er über einen Fernsehapparat und spiele im sogenannten «Umschluss» mit «Kollegen» Rommee. Später wird es heißen, die Knast-Anekdoten hätten fast die gesamte Stunde Besuchszeit eingenommen. Sie hätten Frank-B. Werner, je länger sie dauerten, umso mehr genervt. Denn es hätte in den Augen des Besuchers viel Dringendes zu besprechen gegeben. Doch davon schrieb «FBW» nichts.
Die beiden Männer, die sich in der JVA Mannheim gegenüber saßen, sind wirtschaftlich auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden. Sie bildeten zusammen den Verwaltungsrat der Jörg Kachelmann Produktions AG (JKP). Mit ihnen im Aufsichtsgremium der Mutterfirma von Meteomedia saß damals nur noch Finanzchef Norbert Steffen. Bei der JKP besitzt Kachelmann 49 Prozent der Aktien und Werner 38 Prozent. Die wichtigsten Gesellschafter pflegten ein sonderbar anmutendes Verhältnis. Auf Außenstehende wirkte das Duo ein wenig wie die Fussballkommentatoren Gerhard Delling und Günter Netzer. Seit Jahren Geschäftsfreunde, verstanden sich Kachelmann und Werner bestens, pflegten einen ähnlichen Humor, sie schätzten, vertrauten und siezten sich.
Bei allen Unterschieden verband sie, dass sie es als Journalisten zu Unternehmern gebracht hatten: Werner leitet hauptberuflich in München den von ihm gegründeten Finanzen Verlag, aus dem die «Axel Springer Financial Media GmbH» geworden war. Er ist auch Chefredakteur des Wirtschaftsblatts «Euro am Sonntag». Nebenbei,vor allem an den Wochenenden, managte er, der Minderheitsaktionär, Meteomedia. Kachelmann schien froh um seinen Kompagnon. Der Selfmade-Meteorologe gab als herausragender Moderator und Motivator schon immer mehr her denn als klassischer Manager. Kachelmann war der Türöffner, Netzwerker, Ideengeber und unbestrittenes Aushängeschild der Firma. Zahlen jedoch schienen ihn, den Charismatiker und bekennenden Chaoten, nur zu interessieren, wenn es sich um Wetterdaten handelte. Oft ließ er verlauten, das Finanzwesen sei etwas für «Erbsenzähler». Allerdings hatte er nicht immer die besten Erbsenzähler eingestellt. Sonst wäre die finanzielle Lage nicht so kritisch gewesen, bevor Werner vor rund zehn Jahren einstieg. Gemeinsam schafften Werner als CEO und Kachelmann als Chefmeteorologe und Galionsfigur den Turnaround. Beide harmonierten, sie inspirierten sich, sie respektierten sich. Die Beziehung war auch nicht dadurch getrübt worden, dass Frank-B. Werner mit Jörg Kachelmanns erster Ehefrau liiert ist. Die erfolgreiche Schweizer Grafikerin arbeitete nach ihrer Scheidung von Kachelmann weiterhin eng mit Meteomedia zusammen. Diese Konstellation funktionierte lange Zeit konfliktfrei.
Nun informierte Werner «everybody» bei Meteomedia, er habe Jörg Kachelmann im Gefängnis geschildert, wie groß die Betroffenheit «bei uns allen» sei, «genauso wie wir uns in keinster Weise vorstellen können, dass an den grotesken Anschuldigungen etwas dran ist». Über die Vorwürfe hätten sie nicht sprechen dürfen. Er sei sogar vom «beisitzenden Wachmeister» ermahnt
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