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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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fällt besonders auf – vielleicht weniger Kachelmann, aber längerfristig in der Öffentlichkeit: Tilman Elliger. In Gutachten und Stellungnahmen hat der Kölner Psychologe und Psychiater vor allem Argumente gegen eine Anklage zusammengetragen. Jetzt ist er im Il Teatro aufgetaucht – nur auf einen Espresso, wie er später betonen wird, und um den Mann kennenzulernen, zu dessen Freilassunger beigetragen hat. Aber auch ein kurzer Kaffee ist zu viel für jemanden, der den Fall gern als unabhängiger Sachverständiger beurteilen möchte. Im Boulevard heißt Elliger bald schon «der Espresso-Gutachter». «Als letzter Gast seiner Feier», so berichtet «Bild», hechtet Kachelmann um 2.29 Uhr aus dem Ristorante in ein Taxi. Er lässt sich, so heißt es weiter, ins noble Hotel «Im Wasserturm» fahren.
    Der Freigelassene ist endgültig zum Gejagten geworden. Bald wird er in Nordeuropa, wo ihn keiner kennt, und anderswo untertauchen. Eines schönen Augusttages taucht er auf einem Appenzeller Hügel wieder auf. In der Nähe seiner Firmenzentrale auf dem Schwäbrig wird er die Stoßstange eines Paparazzo touchieren, der an einer unübersichtlichen Stelle wendet. Der Fotograf, der ihm auflauern wollte, gibt sich nicht zu erkennen, er wird sagen, es sei nichts passiert. Schnell sucht er das Weite.
    Vor dem Prozess fliegt Jörg Kachelmann doch noch nach Kanada. Die Medien gönnen ihm aber auch in British Columbia keine Verschnaufpause. Als sich der Angeklagte dort einige Tage zu erholen versucht, wird er für die «Bunte» in Urlauber-T-Shirt, Shorts und Mokassins fotografiert. Und so geht die Jagd weiter, für einen ganzen langen Prozesswinter. Auf den Paparazzi-Bildern ist Kachelmann oft im Lumberjack-Look zu sehen. Er sieht aus, als ginge er Holzfällen. Die Publikation der meisten dieser Aufnahmen lässt die Kanzlei Höcker durch Gerichte verbieten, da sie die Privatsphäre betreffen. Im Frühling 2011 wird Jörg Kachelmann anfangen, selber zurückzuschießen. Bilder, die er selbst auf Twitter postet, sollen dokumentieren, wie Fotografen und Journalisten ihm und seinen Nächsten nachstellen: im Garten, auf dem kanadischen Provinzflughafen Kamloops, in der Schweiz. Ein Wartender sitzt auf einem der Twitter-Bilder in einem weißen Wagen in Wollerau, hoch über dem Zürichsee. Er passt den frisch vermählten Angeklagten ab, der mit seiner dritten Ehefrau in die kleine Steueroase gezogen sein soll. Nicht zu sehen ist, wie die Kantonspolizei Schwyz in Zivil vorfährt, um den Mann wegzuschicken. Die Bilder, so twittert «JK», zeigen «die gewohnheitsmäßigen und ekelerregenden Persönlichkeitsrechtsbrechervon Gnaden ihrer Herrin Friede Springer». Mehr als ein Jahr nach seiner Freilassung wird der vom Boulevard Gehetzte auch eine E-Mail veröffentlichen, in der sich ein «Bunte»-Redakteur bei seinem kanadischen Makler beliebt macht. Er bittet um Informationen über ein für 1,4 Millionen kanadische Dollar zum Verkauf stehendes «Waterfront Retreat», das einer «German Celebrity» gehöre. Kachelmann twittert, er sei «actually Swiss».
    Nie mehr hat Jörg Kachelmann die Medien so im Griff wie am zweiten Tag in Freiheit. Da tut er, was er bestens kann. Sobald die Kamera läuft, macht er ein Gesicht, das auf viele sympathisch wirkt. Viereinhalb Minuten lang beantwortet er in hellblauem Hemd arrangierte Fragen eines Interviewers. Es wirkt ein wenig wie anno dazumal, als er ankündigte: «Es flöckelt Zucker auf unsere Flachlandtannen.» Die Botschaft ist erneut eingängig. Der begnadete Wettererklärer von einst erzählt von Respekt hinter Gittern, er betont mehrfach er sei unschuldig, er lobt «seinen hervorragenden Anwalt», den er auf de, n Tag genau vier Monate nach seiner Freilassung entlassen wird. Das gefragte Interview wird an mehrere TV-Sender und Online-Portale verkauft. Schnell kommt so ein sechsstelliger Betrag zusammen.
    Dem «Spiegel» erklärt Jörg Kachelmann im Hotel Im Wasserturm, er habe «keine Fehler gemacht, jedenfalls keine von juristischer Relevanz». Umgehend räumt er aber ein, er habe «diese Frau in einer Weise gekränkt, die ich in der Nachschau nur im höchsten Maße bedauern kann». Er gibt die eine und die andere Anekdote zum Besten vom Kakerlaken-Knast, den Kumpeln und von seiner 80-jährigen Besucherin in der JVA, die hätte erleben müssen, wie sie «zur Mutter eines messerstechenden, gewalttätigen, promisken Vergewaltigers wurde». Stolz sei er, «dass sie stark geblieben ist». «Die

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