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Die Akte Kachelmann

Die Akte Kachelmann

Titel: Die Akte Kachelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Knellwolf
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A. aufzeigt, könnten, so der Senat, zwar Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung sein. Allerdings irre die Staatsanwaltschaft, wenn sie etwas Lebensbedrohliches als einzige Ursache sehe. Greuel habe nämlich festgehalten, auch das Geständnis eines mehrjährigen systematischen Betrugs könne ein seelisches Trauma auslösen – bei einer eher verschlossenen Frau, die dem Angeklagten blind vertraute. Vielleicht haben Bestrafungs- und Belastungsmotive seiner Ex-Partnerin Jörg Kachelmann über vier Monate Freiheit gekostet. Das Karlsruher Richtertrio schließt dies nicht aus: Sonja A. sei mit einer Lebenslüge konfrontiert worden. Ihr Selbstwertgefühl sei erschüttert worden. Hass und Rachegedanken könnten sie zu Vergeltung bewogen haben.
    Um 13.34 Uhr geht die grüne Tür auf. Heraus kommt diesmal das Ehepaar Birkenstock, gefolgt von einem Mann, der erstmals seit dem Termin im Amtsgericht richtig zu sehen ist.
    Er wirkt wie verwandelt.

Der Gejagte
    Er tritt in einem schneeweißen langärmligen Sweatshirt und mit einer gesunden Bräune im Gesicht in die Freiheit. Die Kameras klicken und filmen. Schaulustige klatschen. Ein Untersuchungshäftling ist so berühmt geworden, wie es kein Wettermoderator geschafft hätte. Jörg Kachelmann ist nicht mehr der «viertklassige TV-Promi», wie er sich gern selbstironisch genannt hat.
    Es kommt der Augenblick der Gesten: Jörg Kachelmann umarmt vor der grünen Tür einen Uniformierten, seinen «Stockwerksbeamten», wie er am Tag darauf verraten wird. Dann blickt er zuversichtlich geradeaus, lächelt ganz leicht und fortwährend. An seiner Stelle spricht sein wichtigster juristischer Beistand. Reinhard Birkenstock steht die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Mit seinem rauchigen Bass bedankt er sich bei Jörg Kachelmanns Mitgefangenen und den Beamten der JVA für die «vorzügliche Behandlung». Das Oberlandesgericht, hält Birkenstock fest, habe «einem Justizskandal Grenzen gesetzt». Den Karlsruher Richtern, so sagt er noch, «verdanken wir die Auferstehung der Unschuldsvermutung und die Rückkehr der Rechtsstaatlichkeit».
    Doch allzu viel Zuversicht ist nicht angebracht. Die Beweislage beurteilt auch das OLG als «non liquet». Das bedeutet: Es ist nicht klar. Ihre Verletzungen könnte Sonja A. sich selbst beigebracht haben, findet der Senat. Aber für ihn kommt als Verursacher nach wie vor auch der Mann in Frage, dessen schneeweißes Sweatshirt laut den unvermeidlichen Gestikexperten auf Privatkanälen Unschuld symbolisieren soll. Es steht noch immer Aussage gegen Aussage. Doch aus dem Patt mit Nachteil für den Angeklagten ist ein Unentschieden mit Vorteil Kachelmann geworden. Auf der zweitletztenSeite des Karlsruher Beschlusses heißt es: Es bestehe die Konstellation «Aussage gegen Aussage eines nur teilweise glaubwürdigen Zeugen». «Jörg Kachelmann muss eine rechtsstaatliche Hauptverhandlung nicht fürchten», findet die Kanzlei Birkenstock in einer Pressemitteilung, die nun auf ihrer Homepage erscheint. «Wahrheit, Wissenschaft und Recht stehen auf unserer Seite.»
    Die Birkenstocks und Kachelmann drängeln durch die Masse Richtung Range Rover. Sie steigen ein, wollen losfahren. Sie können nicht, denn sie sind umringt. Kachelmann, auf dem Rücksitz, starrt teilnahmslos auf den Vordersitz. «Achtung!», ruft jemand aus der Meute, «die Füße!» Der Offroader rollt los – aber nicht allein. Reporter, Kamerateams, Paparazzi verfolgen ihn, von der Herzogenriedstraße 111 auf die A 61 Richtung Koblenz.
    Jörg Kachelmann könnte sich jetzt zum Flughafen Frankfurt bringen lassen, eine Maschine nach Kanada besteigen und auf seine Ranch in British Columbia fahren. Er könnte nach Hause in die Schweiz reisen, es gibt keine Auflagen. Er könnte sich sogar nach Südamerika absetzen. Dort wäre er vor der deutschen Justiz fürs Erste sicher. Doch anders als von der Staatsanwaltschaft befürchtet, geschieht nichts davon.
    Der Range Rover nimmt Kurs auf Köln, er hält an einer Raststätte namens Wonnegau. Die Verfolger beobachten, wie Johanna Birkenstock aussteigt. Zigaretten und Chips holt sie.
    Am Abend warten Journalisten und Fotografen vor den – ihretwegen – mit Tüchern verhängten Scheiben des Ristorante Il Teatro in der Kölner Südstadt. Beim Stammitaliener der Birkenstocks, im Dunkeln, bei Kerzenschein, diniert Jörg Kachelmann mit einer Juristenschar. Viele, die mit ihm am Tisch sitzen, hat der Freigelassene noch nie zu Gesicht bekommen.
    Ein Gast

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