Die Akte Kachelmann
A. ihrem Therapeuten etwas vorspielt oder dass es Schutzgesten sind. Mit spitzer Feder unterstellt der Berliner Psychiater dem Heidelberger Traumatologen eine unprofessionelle und unterschwellig gar innige Beziehung zu der 37-jährigen Patientin aus dem Nachbarstädtchen Schwetzingen: Der Kollege laufe Gefahr, auf Frauen mit «manipulativer Potenz» hereinzufallen.
Noch immer zeigt n-tv das grüne Gefängnistor. Für ein paar Minuten lässt Ralf Höcker in Köln sein Handy klingeln und klingeln und klingeln. Er, Privatfernseh-Moderator im Nebenjob, kann nicht einmal seinem Haussender RTL genau sagen, wann sich die Tür öffnen wird, ohne dass lediglich ein Justizbeamter herauskommt, der zu Tisch geht.
Kröber hält es auch für alles andere als wahrscheinlich, dass sich ausgerechnet während einer Vergewaltigung die Wahrnehmung beim Opfer ausschaltet. Erfahrungen aus Strafprozessen zeigten genau das Gegenteil: Würden Zeugen zu Situationen befragt, bei denen es um Leben und Tod ging, imponiere immer wieder, wie klar und deutlich sie sich an hochgradig gefährliche Situationen erinnerten. Es finde, so wird er auch im Kachelmann-Prozess ausführen, eine «Fokussierung aufs Kerngeschehen» statt: auf die Bedrohung, auf die Waffe, auf den Angreifer. Die maximale Alarmierung, die höchste Aufmerksamkeit sei dem menschlichen Selbsterhaltungswillen geschuldet. Panik und Angst würden reduziert, schmerzhafte Details würden sich bei Opfern ins Gehirn einbrennen.
Die grüne Tür öffnet sich. Heraus treten wieder einmal nur hung-rige JVA-Mitarbeiter.
Für Kröber ist bei Sonja A. keine posttraumatische Störung ersichtlich. Daraus kann der Sachverständige zwar unmöglich ableiten, dass das Geschehen, wie es das mutmaßliche Opfer darstellt, sich so nicht ereignet hat. Doch wenn das Gericht Kröbers Ausführungen folgt, müsste es die Erklärungen Seidlers zu den Mängeln in der Aussage von Sonja A. als absurd zurückweisen. Damit wäre die Anklage wichtiger Argumente beraubt.
Sie wäre es, wenn nicht die Verteidigung vorgesorgt hätte. Ausgerechnet die Verteidigung hat den Bielefelder Hirnforscher Hans Markowitsch beauftragt, ebenfalls ein Gutachten zur Frage einer möglichen Traumatisierung von Sonja A. zu erstellen. Professor Markowitsch wird die ganze Thematik, die ihn sein Forscherleben lang beschäftigt hat, im April 2011 als Gutachter differenziert beleuchten. Normalerweise, hier pflichtet er dem Kollegen Kröber bei, würden sich schreckliche Ereignisse im Gedächtnis Betroffener «einbrennen». Reaktionen unter Todesangst seien allerdings von Mensch zu Mensch verschieden. Sie hingen von den jeweiligen Erfahrungen und seinem Verhalten bis zu dem «Todesangstzeitpunkt» ab, erklärt Markowitsch. Manche Menschen verfallen – wie auch einige Tierarten – in Schockstarre. Andere Opfer reagieren heldenhaft: Hellwach, geradezu überaufmerksam, keine Fluchtchance, kein Detail entgeht ihnen im Augenblick der Not. Wer als Kind schon traumatisiert worden sei, könne durchaus eine «Gedächtnisblockade» gegenüber realen Geschehnissen aufbauen. Unreife Persönlichkeiten könnten sich aber auch schreckliche Erlebnisse einbilden.
Drei Wissenschaftler, drei Ansichten und viele Deutungsmöglichkeiten für die Verteidigung, die Anklage, die Richter. Was heißt das alles im Hinblick auf Sonja A.? Was heißt das bei einer Frau, die ihrem Therapeuten von einem sonderbaren Erlebnis als kleines Mädchen berichtet hat? Von einem Ereignis auf einem Felsen an einem Strand, an das sie sich nicht erinnere, das sie aber, wie ihre Familie sage, stark verändert habe.
Psychotherapeut Seidler weist den Sicherheitsdienst seiner Klinik für Psychotraumatologie an, verstärkt zu kontrollieren, wer das Gebäude betritt. Er befürchtet, dass bald ein Freigelassener hereinspaziert kommt, um sich an ihm zu rächen.
Vielleicht finden die wartenden Birkenstocks in der JVA Zeit zu studieren, was die Karlsruher Richter auf 14 Seiten festgehalten haben.
Der Senat hat so ziemlich alle ihre Argumente übernommen, während er so ziemlich alles zerzaust, was die Anklage zu Bedenken gab. So schreibt das Oberlandesgericht, die Glaubwürdigkeit von Sonja A. sei durch wahrheitswidrige Angaben in fünf Vernehmungen und auch gegenüber ihrem Therapeuten erschüttert. Das wisse die Nebenklägerin selbst.
Vieles an der aussagepsychologischen Begutachtung durch Luise Greuel hat das OLG überzeugt. Die erheblichen Mängel, welche sie in der Aussage von Sonja
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