Die Akte Nr. 113
gefährlichsten Verbrechern, aber der Zorn des
schönen Wildkätzchens flößte ihm
Angst ein. Er schwieg.
»Ist es möglich, daß man Prosper
verhaften will und man ihm eines Diebstahls beschuldigt?«
»Leider ja, man behauptet, daß er die Kasse
beraubt hätte.«
»Das ist eine niederträchtige
Verleumdung!« rief sie mit blitzenden Augen. »Die
Behauptung ist auch unsinnig,« fügte sie ruhiger
hinzu, »Prosper besitzt ja ein großes
Vermögen.«
»Darin täuschen Sie sich, Bertomy ist nicht
reich, er ist nur auf seinen Gehalt angewiesen.«
Nina war von dieser Antwort betroffen. »Nicht reich?
Aber dann wäre ja ...«
Sie hielt inne, indes wußte Fanferlot genau, was sie
sagen wollte, nämlich: dann wäre ja ich es, die durch
meinen Luxus ihn soweit gebracht.
Dieser Gedanke war allerdings einen Augenblick durch Ninas
hübsches Köpfchen geflogen, sie verwarf ihn aber
allsogleich.
»Nein,« sagte sie, »Prosper
würde nur meinetwillen keinen Pfennig veruntreuen, denn leider
liebt er mich nicht und nur die übergroße Liebe kann
einen Mann zum Verbrecher machen.«
»Wie, Prosper sollte Sie nicht lieben?« rief
der höfliche Polizist galant, »Sie glauben wohl
selber nicht, was Sie sagen.«
Sie schüttelte traurig das Köpfchen.
»Ich glaube es nicht nur, ich weiß es
bestimmt, er liebt mich nicht; in seinem Leben habe ich nichts zu
bedeuten.«
»Ja – dann – warum ... «
»Warum? ... Ich verstehe wohl, was Sie meinen, aber
darauf habe ich keine Antwort; seit einem Jahre, seit ich ihn kenne und
mit ihm lebe, quält mich der Gedanke und ich frage mich
unablässig, warum er mich zur Geliebten genommen, mich mit
allen Luxus umgibt, meine törichten Wünsche
erfüllt, da er mich doch nicht liebt! Ich beobachte ihn, aber
er ist undurchdringlich; er ist gütig und freundschaftlich zu
mir – aber von Liebe keine Spur!«
Nina vergaß in ihrer Erregung, daß es ein
völlig Fremder war, den sie so Einblick in ihr Innerstes
gewährte, vielleicht glaubte sie auch, sich keinen Zwang
auferlegen zu müssen, da der Mann sich doch Prospers Freund
nannte. Fanferlot dagegen freute sich, über Bertomys Charakter
auf so untrügliche Weise Aufschluß zu erlangen.
»Man behauptet, daß Prosper ein Spieler
sei,« warf er ein, »und das Spiel führt
weit.«
»Er spielt wohl, allein er ist kein
Spieler,« entgegnete sie, »ich habe es selbst
gesehen, wie er, ohne eine Miene zu verziehen, verloren oder gewonnen
hat; er bleibt beim Spiel, wie bei allem anderen, völlig
leidenschaftslos, er verliert niemals die Herrschaft über sich
selbst und alles scheint ihn: gleichgültig zu sein. Nein,
Prosper ist kein Dieb, das möchte ich mit meiner Seligkeit
verbürgen, aber ich glaube, daß es in seinem Leben
ein Geheimnis, ein Unglück, irgend etwas sehr Trauriges gibt,
das er zu vergessen wünscht und darum sucht er sich zu
betäuben.«
Tränen waren in Ninas schöne Augen getreten
und rollten langsam über ihre Wangen herab. Aber
plötzlich ermannte sie sich, trocknete die Tränen und
rief energisch: »Ich will ihn retten, wenn er mich auch nicht
liebt, so liebe ich ihn, denn er ist gut, ist edel – nein und
tausendmal nein, er ist kein Verbrecher! Ich gehe sofort zu seinem
Chef, zum Richter, wenn es sein muß, zum Präsidenten,
ich werde beweisen, daß er unschuldig ist! Kommen Sie, kommen
Sie, ehe der Tag sich neigt, muß Prosper frei sein!«
»Ihre Absicht ist sehr löblich, mein
verehrtes Fräulein,« entgegnete Fanferlot,
»aber Sie würden meinem Freunde nicht nur nicht
nützen, sondern sich selbst nur schaden, man wird Sie
für seine Mitschuldige halten.«
»Was liegt daran!« rief Nina opferfreudig,
»wenn sie ihn in den Kerker werfen, will ich sein Los
teilen.«
»Sehr edel von Ihnen, mein liebes Fräulein,
aber Ihren Freund retten Sie damit nicht, im Gegenteil, Sie geben ihn
um so sicherer dem Verderben preis, außerdem würden
Sie direkt gegen seinen Willen handeln. Was schreibt er Ihnen denn?
Daß Sie sich verborgen halten sollen, nicht? Nun glauben Sie,
daß er dies nicht mit besonderer Absicht geschrieben,
begreifen Sie denn nicht, daß er Gründe hat,
schwerwiegende Gründe...«
Nina hatte nur ungeduldig zugehört, sie war im Zimmer
erregt auf und ab geschritten, und als sie an einem der Fauteuils ein
leicht hingeworfenes schwarzes Spitzentuch erblickte, nahm sie es und
schlang es um den Kopf, als mache sie sich zum Fortgehen bereit; die
Weitere Kostenlose Bücher