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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Ganz grün!«
    »Wahrscheinlich hat er wieder gespielt, ich habe mir
sagen lassen, daß er vorigen Monat an einem einzigen Abend
1500 Frank verspielt hat.«
    »Er ist nichtsdestoweniger ein guter
Beamter,« sagte Cavaillon, »und an seiner Stelle
würdet ihr vielleicht ...« Er konnte den Satz nicht
vollenden, denn plötzlich wurde die Tür zur Kasse
aufgemacht und Bertomy wankte herein.
    Er zitterte am ganzen Körper und seine Züge
waren angstverzerrt.
    »Man hat mich bestohlen,« stieß er
mit heiserer Stimme hervor.
    Alle Beamten erschraken bei seinem Anblick, sie eilten auf ihn
zu und fragten: »Was ist Ihnen geschehen? Was soll gestohlen
worden sein?«
    Aber Prosper Bertomy war außerstande, zu antworten,
er rang vergebens nach Fassung und er zitterte so heftig, daß
er sich kaum aufrecht zu erhalten vermochte. Einer der Kollegen schob
ihm einen Sessel hin, auf den er sich schwer fallen ließ.
    »Und nun sagen Sie uns doch, was geschehen
ist?«
    Prosper konnte noch immer nicht reden. Endlich, als ihm
Cavaillon ein Glas Wasser gereicht hatte, kam er soweit zu sich,
daß er einige Worte hervorzubringen vermochte.
    »Das Geld – – aus der Kasse
– – weg.«
    »Alles?«
    »Ja, was ich vorbereitet hatte: drei Pakete zu je
hunderttausend Frank und eines zu fünfzigtausend. Ich hatte
alle vier Pakete in einen Umschlag zusammengebunden und jetzt
– ist es weg.«
    »Hat man die Kasse gesprengt?«
    »Nein, sie ist unverletzt.«
    »Aber, wie ist das möglich ...?«
    »Das weiß ich nicht, ich weiß nur,
daß ich gestern abend 350 000 Frank in der Kasse hatte und
daß sie jetzt leer ist.«
    Alle schwiegen bestürzt, nur ein alter Beamter sagte
besonnen: »Aber Bertomy, verlieren Sie doch den Kopf nicht,
aus der versperrten Kasse kann ja das Geld nicht verschwinden, der Chef
hat wahrscheinlich darüber verfügt.«
    Der unglückliche Kassierer atmete erleichtert auf:
»Ja, so wird es sein, der Chef – –
–«
    Aber plötzlich sank er wieder in sich zusammen, wie
gerne er sich auch an die Hoffnung angeklammert hätte, er
konnte es nicht.
    »Nein,« sagte er niedergeschlagen,
»nein, das ist nicht möglich, noch niemals, seit ich
in der Kasse bin – und das sind nun über
fünf Jahre – hat Herr Fauvel Geld, ohne mich zu
verständigen, entnommen, ja er hat die Kasse
überhaupt nur in meiner Gegenwart geöffnet ... Nein,
es ist keine Hoffnung ...«
    »Nun, zur Verzweiflung ist immer noch Zeit, darum
ist's am besten, den Herrn doch zu befragen,« meinte Cavaillon.
    Die Nachricht, daß die Kasse bestohlen worden sei,
hatte sich wie ein Lauffeuer durch alle Bureaus des Bankhauses
verbreitet und war auch bis zu Herrn Fauvel gedrungen. Er erschien eben
in dem Augenblicke, als Cavaillon einen Diener beauftragte, ihn
herabzubitten.
    André Fauvel mochte etwa fünfzig Jahre
zählen, er war von mittlerer Größe, hatte
sympathische Züge, lebhafte Augen, aus denen Güte und
Wohlwollen sprachen; sein Gesicht zeigte noch jugendliche Frische und
sein dichtes Haar war nur an den Schläfen leicht ergraut.
    »Was gibt es, was ist geschehen?« fragte er.
    Die Beamten, die sich alle um den Kassierer gedrängt
hatten, machten respektvoll Platz.
    Als Bertomy des Chefs ansichtig wurde, erhob er sich sofort,
trat ihm entgegen und sagte: »Herr Fauvel, da, wie Sie wissen,
heute morgen eine größere Zahlung zu machen war, habe
ich gestern zur Bank geschickt und 350 000 Frank holen lassen
...«
    »Warum gestern?« unterbrach ihn der Chef.
»Habe ich Ihnen nicht schon tausendmal gesagt, daß
die Gelder immer erst am Bedarfstage selbst beschafft werden sollen?
...«
    »Ja, ich weiß, daß ich unrecht
hatte und so ist das Unglück geschehen. Gestern abend
schloß ich das Geld in die Kasse und heute ist es verschwunden
– der Schrank ist aber nicht erbrochen.«
    »Sie sind nicht recht bei Troste,« rief
Fauvel, »oder Sie träumen, wie kann denn das Geld
verschwinden?«
    Obgleich diese Worte des Chefs Bertomys Hoffnung vernichten
mußte, zeigte er sich ziemlich gefaßt, er war nach
der jähen Gemütsbewegung, die er eben
überstanden hatte, beinahe stumpfsinnig geworden.
    »Leider bin ich bei voller Vernunft und
träume auch nicht,« entgegnete er, »es ist
so, wie ich sagte.«
    Die scheinbare Ruhe des Kassierers brachte Herrn Fauvel auf.
Er faßte Bertomy am Arm, schüttelte ihn und rief:
»Wer soll denn die Kasse geöffnet haben, Sie
Unglücksmensch? ... So sprechen Sie

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