Die Akte Nr. 113
letzten Worte des Sicherheitsagenten machten sie aber stutzen, sie
blieb stehen und auf einmal war es, als ginge ihr ein Licht auf.
»Ah, jetzt verstehe ich, meine Anwesenheit hier in
seiner Wohnung ist schon eine Anklage wider ihn, und wenn man erst
meine Kleider, meine Spitzen, meinen Schmuck fände... o, Sie
haben tausendmal recht, ich muß fort, so schnell als
möglich fort – – wer weiß, ob die
Polizei mir nicht schon auf der Spur ist und gleich erscheinen wird
...«
Und ohne sich weiter um den Fremden zu kümmern,
stürzte sie in ihr Schlafzimmer und rief mit lauter Stimme
nach den: Diener und dem Kammermädchen und befahl, rasch
Koffer zu bringen und zu packen. Sie selbst machte sich sofort daran,
die Schränke und Schubladen zu leeren.
Einen Augenblick später kehrte sie wieder,
glühend vor Eifer und Aufregung, in den Salon zurück
und sagte zu ihrem Besucher: »Ich werde gleich bereit sein,
aber wohin soll ich gehen? Prosper schreibt, ans andere Ende von Paris,
in eine möblierte Wohnung – aber wie soll ich eine
solche so rasch finden?«
In Fanferlots Augen blitzte es freudig ans, indes
bemühte er sich, völlig gleichmütig zu
scheinen.
»Ich wüßte wohl ein Hotel garni,
freilich so sein wie hier ist es nicht, aber auf meine Empfehlung
würden Sie wie eine Prinzessin behandelt werden,
außerdem wären Sie dort wirklich gut
verborgen.«
»Also dann nur schnell hin, bitte schreiben Sie den
Empfehlungsbrief, dort am Schreibtisch finden Sie alles
Nötige. – Ja, wo liegt es denn?«
»Am jenseitigen Ufer der Seine, es heißt
Hotel zum Erzengel, die Besitzerin, an die ich Sie wärmstens
empfehlen werde, heißt Frau Alexandrine.«
Mit diesen Worten trat er an den Schreibtisch und warf rasch
einige Zeilen auf ein Blatt, das er in einen Briefumschlag schob.
»So, mein liebes Kind, da ist der Brief und ich
hoffe, Sie werden zufrieden sein!«
»Danke. Aber wie soll ich Cavaillon meine Adresse
zukommen lassen? Richtig, warum ist er denn nicht gekommen? Prosper
schreibt doch ...«
»Er war verhindert,« fiel Fanferlot ein,
»aber machen Sie sich keine Sorgen, ich komme heute noch mit
ihm zusammen und werde ihn verständigen.«
Nina wollte den kleinen Diener um einen Wagen senden, aber ihr
höflicher Besucher erbot sich, den Auftrag zu
übernehmen; er empfahl sich und ging.
Er hatte nicht weit zu gehen, denn als er aus dem Hause trat,
fuhr eben eine leere Droschke vorüber, er hielt sie an und
sagte zu dem Kutscher, nachdem er sich ihm als Detektiv zu erkennen
gegeben: »Es wird gleich eine junge Dame mit viel
Gepäck herabkommen. Wenn sie zum Hotel Erzengel zu fahren
wünscht, ist es gut, dann knalle mit der Peitsche, wenn sie
dir aber eine andere Adresse geben sollte, dann steige vom Bock und
mache dir etwas am Leitseil zu schaffen, ich werde in der Nähe
sein und alles beobachten.«
Nachdem er diesen Befehl gegeben, trat er in den Torweg eines
der nächsten Häuser und hielt sich verborgen. Er
hatte nicht lange zu warten, ein lautes Peitschenknallen
verkündete ihm, daß sein Plan gelungen war.
»Nun, die ist mir sicher,« sagte er
fröhlich und begab sich aufs Gericht.
3. Kapitel
Zur selben Stunde als Nina ihre neue Behausung aufsuchte,
wurde Prosper ins Polizeigefängnis gesperrt.
Er hatte sich die ganze Zeit über tapfer gehalten.
Auf dem Polizeikommissariat, wo er mehrere Stunden warten
mußte, saß er ruhig und gleichgültig, als
ginge ihn die Sache gar nichts an. Als es Mittag war, ließ er
sich das Essen aus einem nahen Gasthaus holen, er aß mit
Appetit und leerte fast eine ganze Flasche Wein.
Als man ihm sagte, daß der Wagen, der ihn ins
Gefängnis führen sollte, da sei, zündete er
sich ruhig eine Zigarre an und rauchte während des
Hinuntergehens. Am Haustor stand eine Blumenverkäuferin, er
kaufte ihr ein Veilchensträußchen ab und steckte es
ins Knopfloch. Als die Frau merkte, daß er verhaftet sei,
sagte sie: »Armer Herr, viel Glück!«
Dies teilnehmende Wort rührte ihn.
»Ich danke, gute Frau, aber ich habe schon lange
keines mehr,« antwortete er.
Es war ein strahlend schöner Frühlingstag,
Prosper blickte sehnsüchtig zum Wagenfenster hinaus und sagte:
»Merkwürdig, noch nie habe ich eine so große
Lust gehabt, spazieren zu gehen, wie heute.«
Der Gendarm, der an seiner Seite saß, brach in ein
schallendes Gelächter aus.
»Ja, das glaube ich wohl!« meinte er.
In der Kanzlei, wo die üblichen
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