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Die Akte Nr. 113

Titel: Die Akte Nr. 113 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Gaboriau
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Förmlichkeiten abgemacht werden mußten, antwortete
Prosper auf die ihn vorgelegten Fragen kurz und kühl, nur als
man ihm befahl, die Taschen zu leeren und man sich anschickte, ihn zu
untersuchen, stieg die Röte des Unwillens ihm heiß
ins Gesicht und eine Träne drängte sich in sein Auge.
Aber nur einen Augenblick dauerte die Erregung, er biß die
Zähne fest aufeinander und ließ sich von Kopf zu
Fuß betasten, ob er nichts Verdächtiges unter seiner
Kleidung berge.
    Diese demütigende Untersuchung würde
vielleicht noch länger gedauert haben, ohne die Einmischung
eines vornehm aussehenden älteren Herrn mit weißer
Halsbinde und goldener Brille, der an dem, trotz des herrlichen
Frühlingswetters, geheizten Ofen stand und sich
wärmte. Er schien hier wie zu Hause zu sein.
    Als Prosper mit den Gefängniswärtern
eingetreten war, hatte er ihn überrascht angesehen und machte
Miene, auf ihn zuzutreten, indes besann er sich eines anderen, blieb
auf seinem Platze stehen, beobachtete Prosper aber unausgesetzt.
    Diesem entging es nicht, daß der Herr ihn beharrlich
betrachtete, er schien ihn zu kennen, aber so sehr Prosper auch sein
Gedächtnis anstrengte, er erinnerte sich nicht, ihn je gesehen
zu haben.
    Als nun die Männer, die Prosper untersuchten, sich
anschickten, ihm auch die Stiefel auszuziehen, um zu sehen, ob er nicht
etwa ein Taschenmesser oder dergleichen darin verborgen hätte,
wehrte der Herr mit einer Handbewegung ab und sagte:
»Genug.«
    Die Leute ließen sofort von ihm ab, denn der Befehl
kam von einer Persönlichkeit, die sich unter dem
Gerichtspersonale der größten Wertschätzung
erfreute, der Herr war nämlich der berühmteste
Detektiv der Polizeipräfektur, Lecoq mit Namen.
    Endlich waren alle Förmlichkeiten erledigt, der
unglückliche Kassierer wurde in eine Gefängniszelle
abgeführt und die schwere eisenbeschlagene Tür hinter
ihm abgesperrt.
    Jetzt, wo er allein war – sich wenigstens allein
wähnte – denn er wußte nicht, daß
die Wände und Türen eines Gefängnisses Augen
und Ohren haben – jetzt ließ er die Maske
angenommener Gleichgültigkeit fallen und ließ seinen
zurückgedrängten Tränen freien Lauf.
    Er war der Verzweiflung nahe. Man bezichtigte ihn eines
Verbrechens, sein ganzes Leben war zerstört, verloren! Das
also war der Weg, den er genommen, die Zukunft, die er
erträumt!
    Er war von Jugend auf von einem brennenden Ehrgeiz beseelt
gewesen und alles, was er an Intelligenz und Tatkraft besaß,
hatte er angewendet, um sich emporzuringen, sich eine schöne
Lebensstellung zu schaffen und nun ...!
    Er wußte, daß er verloren war, er gab sich
keiner Täuschung hin, denn der Verdacht ist wie ein
unauslöschliches Brandmal und wer einmal darunter gestanden,
der ist gezeichnet für ewige Zeiten!
    Er hätte rasen, toben können, aber dann
überfiel ihn tiefste Mutlosigkeit.
    »Verloren, verloren!« stöhnte er
und warf sich schluchzend aufs Bett.
    Als am Abend der Gefängniswärter ihm das
Essen brachte, lag er noch in derselben Stellung. Ach jetzt, da er
allein war, hatte er keinen Hunger, er ließ alles
unberührt und lag die ganze Nacht schlummerlos, ein Raub
grenzenlosester Verzweiflung.
    Gegen Morgen überfiel ihn doch eine Art
Betäubung, aus der ihn erst die Stimme des
Gefängniswärters riß. Er war gekommen, um
ihn vor den Untersuchungsrichter zu führen.
    Mit einem Satze war Bertomy aufgesprungen. Er sollte
verhört, sein Schicksal entschieden werden! Und ohne daran zu
denken, seine Kleidung in Ordnung zu bringen, sagte er: »Gehen
wir, gehen wir!«
    Der Gefängniswärter führte ihn
durch eine endlose Reihe Korridore und Säle, bis er endlich
vor einer Tür stehen blieb.
    »Wir sind am Ziele.«
    Prosper schrak zusammen; hier also, hinter jener
Türe, war der Mann, der sein Schicksal, sein Leben in
Händen hielt, der ihn freilassen, oder den
Vorführungsbefehl von gestern in einen Haftbefehl verwandeln
konnte!
    Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und legte die Hand auf die
Klinke. Aber der Gefängniswärter hielt ihn
zurück.
    »So schnell geht das nicht,« sagte er,
»setzen Sie sich, man wird Sie aufrufen, wenn die Reihe an Sie
kommt; es sind noch mehr Leute hier.«
    In der Tat wimmelte es in dem dunklen unsauberen Korridor von
Leuten aller Art. Häftlinge, Zeugen, Polizisten kamen und
gingen und saßen längs den Wänden auf den
Bänken. In kurzen Zwischenräumen ging immer eine von
den vielen

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