Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
blätterte kurz durch die Aktendeckel, alle Aktenzeichen endeten mit der Ziffernfolge 24 – wahrscheinlich der ganze Jahrgang. Ob Kowalski die schon alle durchgeackert hatte? Na, so viele waren das nun auch wieder nicht in diesem Kaff. Rath betrachtete den Aktenstapel und fragte sich, ob er selbst mal einen Blick hineinwerfen sollte, da riss ihn eine Stimme aus seinen Gedanken.
»Ah, der Kollege Rath! Wie laufen die Dinge denn so?«
Polizeimeister Grigat stand breitbeinig in der Tür, die Daumen in das Koppel seiner Uniform gehakt, ein breites Lächeln unter dem Tschako.
»Kein Grund zur Klage. Danke der Nachfrage.«
»Bin auf dem Weg in den Salzburger Hof . Wollen Sie mich begleiten? Wir könnten ein bisschen plaudern beim Essen.«
»Vielen Dank«, sagte Rath, »aber ich bin bereits verabredet.«
»Na, dann vielleicht heute Abend? Da esse ich immer im Königlichen Hof . Die haben eine Terrasse, liegt genau in der Abendsonne.«
»Mal sehen. Wenn es sich einrichten lässt …«
Polizeimeister Grigat, diesen Eindruck hatte Rath, schien seinen Tag im Wesentlichen nach den Mahlzeiten einzuteilen. Und die Restaurants nach den Himmelsrichtungen.
»Ich suche Kriminalassistent Kowalski«, sagte Rath, »haben Sie eine Ahnung, wo der sich rumtreibt?«
Grigat zuckte die Achseln. »Wenn ich Ihren Kollegen richtig verstanden hatte, wollte er wohl zur Zeitung.«
»Weil er hier fündig geworden ist oder weil er nicht fündig geworden ist?«
»Tut mir leid, das hat er mir nicht gesagt.«
Auf dem Marktplatz waren ein paar Männer gerade dabei, die letzten Spuren des Wochenmarktes zu beseitigen, Kohl- und Salatblätter, die auf dem Pflaster lagen, Pferdeäpfel und Kuhfladen. Rath hatte gehofft, direkt vor der Geschäftsstelle der Treuburger Zeitung parken zu können, aber da stand schon eine Adler-Limousine. Deren Besitzer, offensichtlich ein Geschäftsmann, diskutierte gerade mit einer Mitarbeiterin die aktuellen Anzeigenpreise. Rath unterbrach die Debatte.
»Finde ich hier einen Kriminalassistenten Kowalski?«
Die Frau winkte ihn mit einem Kopfnicken durch nach hinten, ohne ihre Preisberatung zu unterbrechen.
Kowalski empfing ihn für seine Verhältnisse euphorisch.
»Sie haben recht gehabt, Herr Kommissar! Mit der Zeitung, meine ich. In den Akten war nichts, aber hier!«
Rath malte eine Schlagzeile in die Luft. »Schwarzbrennerskandal«, deklamierte er. »Der gute Ruf der Firma Mathée in den Schmutz gezogen. Betriebsleiter und zwei Mitarbeiter verhaftet.«
Kowalski schaute auf die Zeitungen, die er vor sich gestapelt hatte, und machte einen irritierten Eindruck. »Nicht ganz dieselben Worte, aber so ungefähr. Sie wissen schon davon?«
»Direktor Wengler war so auskunftsfreudig.«
»Obwohl die Luisenbrennerei in die Sache verwickelt war?«
»Tja«, sagte Rath, »mit einer guten Vernehmungstechnik quetschen Sie jeden aus.« Er grinste. »Ich glaube, die Tatsache, dass das Verfahren damals eingestellt wurde, hat Herrn Wengler dieses Eingeständnis erleichtert.«
»Eingestellt.« Kowalski zuckte die Achseln. »Mag sein. Aber die ganze Affäre war wochenlang Thema in der Zeitung.« Er zeigte auf einen Berg vergilbten Zeitungspapiers. »Ich habe alle Artikel zusammengesucht, die sich mit dem Fall beschäftigen. Und das sind eine ganze Menge.«
Rath überflog die Artikel. Die Berichterstattung deckte sich im Wesentlichen mit dem, was Wengler ihm erzählt hatte. Der Direktor selbst war mehrfach zitiert. Meist betonte er, dass die Brennerei Luisenhöhe mit diesem Skandal nichts zu tun habe, man im Gegenteil Opfer sei, da die Flaschen mit dem gepanschten Schnaps Luisenbrandflaschen mit Originaletiketten gewesen seien. Wir werden alles daransetzen, der Polizei bei der Aufklärung dieses Falles zu helfen , hatte er dem Reporter gesagt.
»Von dieser Affäre müsste sich doch auch etwas in den Akten finden«, sagte Rath. »Auch wenn das Verfahren eingestellt wurde – damals wurde doch ermittelt.«
»Ich hab jetzt alle Ermittlungsakten durch«, sagte Kowalski. »Also, alles aus dem Jahr vierundzwanzig. Da waren auch zwei, drei Schwarzbrennerfälle darunter, aber nur Kleinkram, nicht so etwas Großes. Überhaupt nichts mit Luisenbrand.«
»Sind Sie sicher, dass Sie alle Akten gesehen haben?«
Kowalski nickte. »Polizeimeister Grigat hat mir alles aus dem Jahr vierundzwanzig rüberbringen lassen.«
»Grigat?«, fragte Rath.
»Ja.«
Rath nahm den Stapel Zeitungen, den Kowalski sortiert hatte, und ging damit zur
Weitere Kostenlose Bücher