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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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hören Sie mir mal gut zu, Herr Kommissar!« Grigat hatte einen roten Kopf bekommen. »Wir haben nicht so viel Polizeikräfte in Treuburg und im Kreis Oletzko. Ich hab hier in der Stadt noch eine Handvoll Wachtmeister, die ich befehlige, und zwei Schreibkräfte; dann gibt es draußen im Kreis noch ein Dutzend Landjägerposten und das Grenzkommissariat in Groß-Czymochen, das war’s. Wenn’s eng wird, wenn einer krank ist oder in Urlaub, müssen wir Verstärkung aus Goldap holen oder aus Lyck. Das läuft dann vielleicht nicht immer so nach Vorschrift wie in Berlin. Da können Sie Ihre Arbeit aufteilen; wir hier müssen die Sachen so nehmen, wie sie kommen. Wir müssen ein verkehrsuntüchtiges Automobil ebenso erkennen können wie einen Bauernfänger, der unseren Bürgern die Ersparnisse abluchsen will, wir müssen das Melderegister ebenso pflegen wie die Verbrecherkartei. Da sind Akten eines uralten Falles wohl mit das Unwichtigste, um das wir uns zu kümmern haben. Abgesehen davon, dass die Archivierung der Ermittlungsakten in der Verantwortung des Amtsgerichts und der Staatsanwaltschaft liegt und nicht in der der Kreispolizeibehörde.«
    »Sie haben ja recht, Herr Polizeimeister, entschuldigen Sie, ich möchte mich nicht mit Ihnen streiten.« Rath hatte beschlossen, ein wenig zurückzurudern. Es half niemandem, sich mit den Behörden vor Ort zu überwerfen. »Natürlich können Sie nicht für jede Panne verantwortlich gemacht werden, die irgendwo in Treuburg passiert. Wahrscheinlich liegt der Fehler wirklich beim Gericht.«
    »Schön, dass Sie das einsehen, Herr Kommissar.«
    Der zuckende Schnauzbart beruhigte sich wieder.
    »Dann«, sagte Rath und bekam sogar ein Lächeln hin, »sollten wir jetzt hinübergehen und herausfinden, warum Ihnen die Akte über den Schwarzbrennerskandal nicht ausgehändigt worden ist.«
    »Jetzt?« Grigat machte ein entsetztes Gesicht, wie es nur ein eingefleischter Beamter in dieser Situation machen konnte. »Am Freitagnachmittag?«
    Im Amtsgerichtsgebäude, gleich neben dem Landratsamt gelegen, schienen sich die meisten Mitarbeiter tatsächlich schon ins Wochenende verabschiedet zu haben. Jedenfalls waren außer dem Pförtner nicht viele Menschen im Gebäude, als Rath mit Grigat und Kowalski vorbeischaute.
    »Mahlzeit, Feibler«, grüßte Grigat, und der zerknitterte Alte, der in der Pförtnerloge saß, stand auf und nahm Haltung an.
    »Herr Polizejmejster!«
    »Jemand in der Registratur?«
    »Niemand, Herr Polizejmejster!«
    »Wir müssten mal einen Blick reinwerfen. Ist dringend. Sie haben doch einen Schlüssel?«
    Der Blick des Pförtners huschte unter der Dienstmütze misstrauisch hin und her. Grigat war er preußisch treu ergeben, aber dessen Begleitung schien ihm nicht geheuer zu sein.
    »Ich bin lejder nich befugt, Ihnen Akten auszuhändijen, Herr Polizejmejster.«
    »Aushändigen ist vorerst auch nicht nötig«, schaltete sich Rath ein. »Es geht nur um den Standort einer bestimmten Ermittlungsakte. Wenn wir den kennen, schlagen wir den ganz normalen Dienstweg ein.«
    Der Pförtner gönnte Rath einen letzten misstrauischen Blick, dann klappte er die hölzerne Schranke hoch und verließ seine Loge. Der Mann führte sie in einen kühlen, fensterlosen Raum, der mit einer Stahltür gesichert war.
    »Von wann is denn die Akte?«, wollte er wissen, nachdem er das Licht angemacht hatte.
    »Vierundzwanzig«, sagte Rath.
    »So alt? Dann missen wir ins Archiv. Is janz hinten, der letzte Raum.«
    Der Pförtner führte sie auch dorthin und schaltete das Licht ein. »Hier is das Findbuch«, sagte er und zeigte auf eine dicke Schwarte.
    Doch sie brauchten kein Findbuch, um das Regal zu finden. Zwei komplette Regalreihen, knapp über dem Boden, waren leergeräumt. Rath hockte sich hin und schaute hinein. Nichts. Keine Akte, die aus Versehen liegengeblieben oder hinuntergefallen und hinter das Regal gerutscht war.
    »Sag ich doch«, meinte Grigat, »ich habe Ihnen alles bringen lassen, was hier stand.«
    »Dann muss die Akte anderswo sein.«
    Nun schlug Rath doch das Findbuch auf. Er fuhr mit dem Finger die Seiten hinunter, auf denen die Akten des Jahres 1924 verzeichnet waren. Er brauchte nicht lange, bis er den Namen Lamkau gefunden hatte. Verstoß gegen die Reichsbranntweinverordnung. Er zückte sein Notizbuch und notierte das Aktenzeichen und die Archivsignatur. Die führte ihn wieder zu dem leeren Regal.
    »Die Akte muss hier im Regal gestanden haben«, sagte er und schaute Kowalski an.

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