Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Achseln. »Das weiß ich nicht. Dazu müsste ich mehr über ihren Tod wissen.«
»Einen schönen Tod hatten sie vermutlich nicht. Alle drei.« Rath räusperte sich. »Ein Indianergift hat sie gelähmt. Und dann hat man sie ertränkt. Wir wissen immer noch nicht genau, was bei wem letztendlich zum Tod geführt hat. Aber …«
»Ein Indianergift?«, fragte Naujoks und zog die Augenbrauen hoch.
Rath nickte und beobachtete den ehemaligen Polizeimeister genau, doch dessen Miene wirkte nun wieder genauso unbeweglich und steinern wie zuvor.
»Zwei starben in ihren Betten, einer in einem Lastenaufzug. Aber was das alles mit Schwarzbrennerei zu tun haben soll, ist mir ein Rätsel. Außer dass Lamkau genau damit offensichtlich nun schon wieder Ärger hatte. Diesmal in Berlin. Und diesmal mit einem renommierten Unternehmen.«
Naujoks nickte nachdenklich. »Es ging damals nicht nur um Schwarzbrennerei, Herr Kommissar«, sagte er schließlich und klopfte seine Pfeife aus. »Es gab auch eine Todesfallermittlung.« Der Polizeimeister a. D. stand auf und holte einen zweiten Ordner aus dem Regal. »Und ich glaube, dass beide Fälle miteinander zusammenhängen.«
Wenig später saßen sie wieder im Auto und rollten über die Landstraße nach Nordosten. Kriminalassistent Kowalski steuerte den Dienstwagen und machte einen nachdenklichen Eindruck. Eigentlich war er genauso schweigsam wie vorhin, als sie bei Naujoks in der guten Stube gesessen hatten, doch war es nun eine andere Art von Schweigsamkeit. Den Unterschied hätte Rath nicht benennen können, aber so langsam begann er, ein Gefühl zu entwickeln für die vielfältigen Arten des Schweigens, welche die wortkargen Masuren beherrschten.
»Brennt Ihnen etwas auf den Nägeln?«, fragte er den Kriminalassistenten. »Sie denken doch an irgendetwas …«
Kowalski brauchte noch einen Moment, ehe er zu reden begann. »Ich wollte vorhin nichts sagen, Herr Kommissar. Nicht im Beisein von Polizeimeister a. D. Naujoks.«
»Was wollten Sie nicht sagen? Glauben Sie etwa, Naujoks hat die drei Männer getötet?«
»Das nicht.« Rath hatte das als Witz gemeint, doch Kowalski schüttelte voller Ernst den Kopf. »Aber es könnte da womöglich jemanden geben, der ein Motiv hat.«
»Und wer?«
»Haben Sie Naujoks’ Reaktion bemerkt, als Sie von Indianergift sprachen?«
Rath nickte. »Und was hat das mit Ihrem Verdacht zu tun?«
»Vielleicht«, sagte Kowalski, »sollte ich Ihnen die Geschichte der Familie Radlewski erzählen …«
Martha Radlewski war der Todesfall, von dem Naujoks gesprochen hatte, eine stadtbekannte Trinkerin, die seinerzeit tot in ihrer Hütte am Stadtrand gefunden worden war. Neben der Leiche hatte eine fast leere Flasche Luisenbrand gelegen, eine von den schwarzgebrannten. Polizeimeister Naujoks war der festen Überzeugung, dass die Frau am Methanol in dem gepanschten Alkohol gestorben war, allerdings war er mit dieser Meinung allein geblieben, die beiden Ermittlungen waren niemals zusammengeführt worden. Der Gerichtsmediziner damals hatte sich angesichts der abnormal vergrößerten Leber, die er in der Leiche gefunden hatte, erstaunt darüber gezeigt, dass Martha Radlewski überhaupt so alt geworden war. Und hatte ihren Tod ganz allgemein dem exzessiven Alkoholgenuss zugeschrieben, nicht aber speziell dem Genuss von gepanschtem Luisenbrand.
Von einer Familie Radlewski hatte Naujoks nichts erzählt, da war auch keine Familie: Martha Radlewski war im Alter von 49 Jahren alleinstehend und verarmt und seit Jahren dem Suff ergeben gestorben. So stand es auch in den Ermittlungsakten, in die Rath schon einen Blick hatte werfen können. Die zweite Akte, die Naujoks nach seiner Pensionierung mit nach Hause genommen hatte.
»Wenn es da eine Geschichte gibt und eine Familie, warum hat Naujoks die dann nicht erzählt?«
»Vielleicht kennt er sie nicht.« Kowalski zuckte die Achseln. »Aber das kann ich mir nicht vorstellen, die Geschichte kennt jeder hier in der Gegend. Ich vermute eher, dass er mit seinem Schweigen jemanden schützen will. Vielleicht hält er den Tod der drei Männer auch für so etwas wie späte Gerechtigkeit und will seinen Verdacht deshalb nicht äußern.«
»Und Sie wissen, wen er schützen will?«
»Ich vermute es.« Kowalski nickte. »Den Kaubuk.«
»Den was?«
»Den Kaubuk. Eine Art schwarzer Mann, der einen holt, wenn man nicht gehorcht. Damit haben schon Generationen masurischer Eltern ihre Kinder geängstigt. Nur sind wir im Kreis
Weitere Kostenlose Bücher