Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
einmal begegnet?«
»Er lebt eben da draußen, da begegnet man sich schon mal, wenn man in seinen Wäldern unterwegs ist.« Adamek zuckte mit den Achseln. »Ich bin der Einzige hier aus der Gegend, der sich so tief in die Wälder wagt. Die Leute sonst gehen nicht so gerne so weit raus. Wegen der Moore überall. Kann tückisch sein, wenn man sich da nicht auskennt.«
Wie viel der Mann an einem Stück reden konnte! Rath war richtiggehend stolz, ihn dazu gebracht zu haben.
»Und Sie, Sie kennen sich gut aus?«
Adameks Antwort bestand aus einem vorwurfsvollen oder vielleicht auch nur verächtlichen Blick, so genau konnte Rath das nicht entschlüsseln.
»Könnten Sie uns dorthin führen? Wo Radlewski unterwegs ist?«
Jetzt aber war es eindeutig Misstrauen, das im Blick des Alten lag. »Warum?«, fragte er.
»Wir müssen ihn dringend sprechen.«
»Der spricht mit keinem.«
»Mal schauen. Die Polizei kennt da Mittel und Wege …«
»Sie werden ihn auch nicht finden. Ist gar nicht da.«
»Wie?«
»War den ganzen Winter schon weg.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Weil kein Rauch aus seiner Hütte kam. Den ganzen Winter nicht.«
»Dann kennen Sie sogar seine Hütte?«
»Nein.«
»Aber Sie sagten doch …«
»Ich habe keine Rauchsäule gesehen über dem Moor, das habe ich gesagt.«
»Aber Sie wissen, dass Radlewski in einer Hütte lebt und Feuer macht.«
»Sonst würde er den Winter wohl kaum überleben.« Adamek schaute Rath an, als zweifle er an dessen Verstand.
»Und letzten Winter war er nicht da.«
»Hab ich doch schon gesagt.«
Rath bekam mehr und mehr das Gefühl, der alte Adamek könne ihn möglicherweise für geschwätzig halten.
»Könnten Sie uns dorthin führen? Zu der Hütte?«
Adamek schaute Kowalski an, der mit den Achseln zuckte, dann wieder Rath.
»Nicht bis ran. Aber in die Gegend könnte ich Sie wohl führen.«
»Gut«, meinte Rath. »Dann bringen Sie uns in die Gegend. Den Rest schaffen wir auch allein.«
»Würde ich Ihnen nicht raten, die Gegend ist ziemlich gefährlich. Viele Moore. Würde ich keinem raten dahinzugehen.« Er zuckte die Achseln. »Außerdem, was wollen Sie da? Sie werden ihn nicht finden, er ist nicht da.«
»Vielleicht ist er ja wieder zurückgekehrt.«
»Heute Morgen war er jedenfalls noch nicht zurück.«
»Sie waren in der Gegend?«
»Was meinen Sie, wo ich gerade herkomme?«
»Und woraus schließen Sie, dass er immer noch nicht da ist? Im Juli wird er ja wohl kaum Feuer machen.«
Adamek zuckte mit den Achseln. »Ich habe das im Gefühl.«
»Wie?«
»Ich spüre das eben, ob ich allein im Wald bin oder ob da irgendwo noch ein anderer Mensch unterwegs ist. Kann ich nicht erklären.«
Rath gab es auf. »Es liegt schon etwas länger zurück, dass Sie Artur Radlewski zuletzt gesehen haben«, sagte er. »Meinen Sie, Sie könnten ihn dennoch beschreiben?«
»Hab ich doch schon: Lange Haare, braun gebrannt, Leder und Fell …«
»Ich meine sein Gesicht. Wie er aussähe, wenn er die Haare geschnitten hätte, wenn er einen Anzug trüge.«
Wieder schaute Adamek, als habe Rath nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Wenn Sie meinen«, sagte er. »Aber ich glaube nicht, dass der Kaubuk jemals seine Haare schneiden würde.«
43
D as Postamt war das größte Gebäude am Treuburger Marktplatz, schräg gegenüber der Litfaßsäule, an der wieder Kommunistenplakate hingen, als habe die nie jemand entfernt. Rath musste nicht lange warten, bis sie ihm eine Telefonkabine zuwiesen. Natürlich hatte Grigat ihm einen Arbeitsplatz samt Telefon im Landratsamt offeriert, doch Rath opferte lieber ein paar Groschen für ein Ferngespräch. Er war Kowalski gerade losgeworden, da musste er nicht ohne Not die Gesellschaft von Polizeimeister Grigat suchen und dessen Neugier.
Den übereifrigen Kriminalassistenten, der geradezu darauf brannte, unverzüglich Jagd auf den Kaubuk zu machen, hatte er wieder zu seinem Onkel geschickt.
»Kümmern Sie sich erst mal um Ihren Brummschädel, legen Sie sich hin. Vielleicht haben Sie eine Gehirnerschütterung, ein bisschen Ruhe kann da nicht schaden.«
»Frische Waldluft tut da bestimmt auch gut.«
»Was sollen wir da im Wald? Wenn Artur Radlewski wirklich hinter den Morden steckt, dann sitzt er jetzt, frisch gekämmt und rasiert, irgendwo in Berlin und bestimmt nicht hier in seiner Hütte in der Wildnis.«
»Er hat seine Arbeit erledigt, weshalb soll er da nicht zurückkehren?«
»Der alte Adamek glaubt nicht, dass er hier ist,
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