Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Kinns auf den Tisch, an dem Unger und Riedel beisammensaßen. Im Taschenspiegel beobachtete sie, wie die beiden Männer sich zu den mutmaßlichen Erpressern an den Tisch setzten. Am liebsten hätte sie gelauscht, was die vier zu besprechen hatten, doch konnte sie sich natürlich nicht einfach an einen Nebentisch setzen.
Sollte sie tatsächlich eine Geldübergabe beobachten können? Beide Neuankömmlinge hatten ihre Kopfbedeckungen vor sich auf den Tisch gelegt, und Charly wartete schon darauf, dass einer diskret einen Umschlag unter seinen Hut legte und über die Tischplatte schob. Oder waren das Komplizen? Hing die ganze Erpressungsgeschichte im Vaterland womöglich mit einem Ringverein zusammen?
Mit beiden Vermutungen lag sie daneben. Dass die Männer nicht gekommen waren, um hier irgendetwas zu bezahlen, das wusste Charly in dem Moment, da sie zum ersten Mal ihre Gesichter sehen konnte. Der eine wirkte nicht einmal kräftig, eher schlaksig und hager, doch hatten beide einen Blick, der jeden Widerspruch im Keim erstickte. Solche Männer ließen sich nicht erpressen.
Bei Unger und Riedel schien diese Erkenntnis noch nicht angekommen zu sein. Es gab einen kleinen Disput, vor allem der Schnapseinkäufer plusterte sich gehörig auf, doch dann hielt Häuptling Rotnase, wie Husen ihn getauft hatte, plötzlich inne und blies die Backen auf, als bekäme er keine Luft mehr. Er saß stocksteif und leicht schräg und wagte es nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen, während sein Kopf mehr und mehr die rote Farbe seiner Nase annahm. Der Mann ihm gegenüber hatte sich leicht nach vorne gebeugt und redete ungerührt weiter. Er hatte eine Hand unter der Tischplatte, und Charly konnte nicht erkennen, was er damit anstellte, aber es war offensichtlich etwas Schmerzhaftes. Unger hatte es plötzlich eilig und wollte aufstehen, doch der andere Mann drückte den Koch mit einem Griff zurück auf seinen Stuhl. Die beiden Erpresser konnten einem beinah leidtun. Riedel, inzwischen blaurot angelaufen, begann plötzlich zu nicken, und auch Unger wackelte jetzt eifrig mit dem Kopf. Es sah ziemlich lächerlich aus, dieses synchrone Nicken, doch die beiden Fremden waren zufrieden, sie setzten ihre Hüte auf und verließen das Lokal ebenso rasch, wie sie es betreten hatten.
Das Ganze hatte nicht einmal fünf Minuten gedauert. Von den übrigen Gästen hatte niemand die Szene beobachtet, und falls doch, war es hier wohl nicht üblich, sich in solche Gespräche einzumischen.
Unger und Riedel waren im Lokal zurückgeblieben und schauten reichlich dämlich aus der Wäsche. Der Kellner brachte zwei Bier und zwei Korn an ihren Tisch, die wohl schon bestellt waren, und Riedel, dessen Kopf immer noch puterrot war, kippte den Schnaps hinunter, allerdings mit der Linken; die rechte Hand drückte er an seinen Körper, als habe er Angst, die Finger könnten sonst abfallen. Auch Unger hob sein Schnapsglas, fast sah es aus, als wolle er anstoßen, doch dann zuckte er zusammen, denn Riedel schimpfte mit ihm.
Es klopfte hart an der Scheibe, und Charly erschrak. Ein Mann mit schief aufgesetztem Hut schlug mit seinem Groschen gegen das Glas.
»Frollein, wollense hier Wurzeln schlagen? Ick müsste ooch mal telefonieren. Sonst macht meene Olle mir die Hölle heiß.«
Charly hängte ein und verließ die Telefonkabine, die ihr ein so gutes Versteck geboten hatte, ging zur Tür und drückte die Klinke. Bevor sie auf die Straße trat, schaute sie noch einmal zu den beiden Männern hinüber, die reichlich ratlos wirkten und irgendwie derangiert. Unger trank sein Bier und schien Löcher in die Luft zu starren, doch sie war sich nicht sicher, ob er dabei nicht genau in ihre Richtung schaute. Charly drehte ihren Kopf schnell weg und verließ das Café. Nun musste sie sich noch eine Geschichte für Mohamed Husen überlegen, warum sie ihn so lange hatte warten lassen. Viele Fragen hatte sie jetzt eigentlich nicht mehr an den afrikanischen Kellner. Und die, die sie hatte, waren ganz andere als noch vor einer Viertelstunde.
46
R ath reagierte allergisch, als der Hausdiener des Gutes Luisenhöhe ihn am Sonntagmorgen wieder abwimmeln wollte.
»Hören Sie, guter Mann, wenn Sie nicht verantworten wollen, dass die preußische Polizei eine Hausdurchsuchung in der netten Residenz Ihres verehrten Herrn Wengler durchführt, dann tun Sie gut daran, mir zu sagen, wo ich den Herrn Direktor finden kann! Und zwar heute noch!«
So hatte mit dem Arroganzbolzen in Livree
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