Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
Vom Netzwerk:
Scholz, die unverkennbar riesige Ledertasche. Und während er sich noch fragte, was das zu bedeuten hatte, wurde er von hinten umfasst und spürte einen stechenden Schmerz im Hals.
    Er wollte sich wehren, doch die Umklammerung war fest, und als sie sich endlich löste, konnte er sich nicht mehr auf den Beinen halten. Er sackte weg, als habe ihm irgendetwas sämtliche Kraft aus dem Körper gesaugt, er konnte sich kaum regen, kaum ein Muskel gehorchte ihm noch.
    Der Uniformierte öffnete die große Tasche, es war wirklich die Tasche von Scholz, und holte ein rotes Tuch heraus.
    »Erkennst du mich?«, fragte er, während er das Tuch entfaltete und ihm über Mund und Nase legte.
    Siegbert Wengler wollte das Tuch abschütteln, doch er konnte sich nicht bewegen, wie gelähmt musste er alles über sich ergehen lassen. Er konnte nicht einmal mehr reden, seine Zunge fühlte sich an wie ein Fremdkörper in seinem Mund, wie irgendein nasser Lappen.
    »Du solltest mich erkennen«, sagte der Mann, von dem er nun wusste, dass es nicht seine Ablösung war, »denn mein Gesicht ist das Letzte, das du von dieser Welt sehen wirst.«
    Wengler schaute in dieses Gesicht, doch obgleich er sich bemühte, irgendwen darin zu erkennen, wollte es ihm nicht gelingen.
    Das Gesicht verschwand, und als es wieder erschien, hielt der Mann eine große Wasserflasche in der Hand, die er aus der Tasche geholt haben musste. Siegberg Wengler spürte, wie er zu zittern begann, auf diese Weise funktionierten seine Muskeln also noch.
    Und dann floss das Wasser. Zuerst spürte er nur, wie das Tuch feucht und klamm wurde, aber dann drang es hindurch, das Wasser drang durch das Gewebe, drang ein in seinen Mund und seine Nase, er spürte, wie es sich überall verteilte, wie es in den Rachen floss und weiter, immer tiefer, immer mehr. Er bekam keine Luft mehr, das Wasser war überall, und er lag da stocksteif und konnte sich nicht wehren, kein Muskel gehorchte. Nur die, denen er keine Befehle erteilen konnte, schienen noch zu funktionieren: Sein Herz schlug heftig, in seinem Hals regten sich Reflexe, die alles noch schlimmer machten, es würgte in ihm, er wollte sich erbrechen, wollte das Wasser auskotzen und konnte doch nicht, er glaubte zu ertrinken, nein, er glaubte es nicht nur, er ertrank wirklich, jetzt, in diesem Moment, er wusste es, sein ganzer Körper bebte bereits im Todeskampf, er würde nur noch wenige Sekunden zu leben haben und wusste nicht einmal, warum er starb.
    Da wurde das klitschnasse Tuch weggezogen, und er bekam wieder Luft, endlich, hatte gleichwohl das Gefühl, gerade gestorben zu sein.
    Luft, Luft, Luft, er konnte an nichts anderes denken.
    »So hat sie sich auch gefühlt«, sagte der Mann, »und ich konnte sie nicht retten. Ich will, dass du weißt, wie sie gestorben ist.«
    Wengler starrte auf das feuchtdunkle, wassertriefende Tuch.
    »Erinnerst du dich jetzt?«, fragte sein Peiniger und legte ihm das nasskalte Tuch wieder über Mund und Nase. »Du solltest dich erinnern, du hast mich einmal eingesperrt. Damals in Marggrabowa.«
    Siegbert Wengler spürte die klamme Kälte des nassen Stoffs auf seiner Haut, er sah, wie der Mann die Flasche hob, und allein der Gedanke an das Wasser trieb die Todesangst zurück in jeden Winkel seines Körpers. Hätte er schreien können, er hätte geschrien, hätte panisch laut geschrien, aber auch das konnte er nicht, und so schrie es nur in seinem Kopf, schrill und laut wie eine Alarmsirene.
    Er sah die Augen des Mannes unter dem Tschako und sah, wie sich die Flasche neigte. Und dann, kurz bevor das Wasser das Tuch erreichte und ihn zum zweiten Mal ertrinken ließ, kam die Erinnerung. Und Siegbert Wengler wusste endlich, warum er sterben sollte.
    49
    E ine knappe halbe Stunde noch. Noch nie in ihrem Leben hatte Charly sich so sehr auf den Feierabend gefreut wie in diesem Moment; sie konnte es kaum erwarten, Haus Vaterland endlich zu verlassen. Jede noch so langweilige Büroarbeit in der Burg hätte sie der Arbeit hier vorgezogen. Warum nur hatte sie sich darauf eingelassen? Nur ein paar Überstunden  … Den ganzen Tag hatte ihr das versaut, das ganze Wochenende. Sie hatte gehofft, des Sonntags ungestörter in Ungers Unterlagen wühlen zu können, aber da hatte sie sich wohl getäuscht.
    Sonntags war im Haus Vaterland die Hölle los, es herrschte mehr Betrieb als an jedem anderen Tag, den sie hier bislang gearbeitet hatte.
    Wenigstens musste sie heute kein Gemüse putzen und nichts schälen oder klein

Weitere Kostenlose Bücher