Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
riesige Kartoffelkisten mit unterschiedlichen Sorten.
Die Tomaten standen ziemlich weit hinten in einer dunklen Ecke. Mindestens zwei Dutzend Kisten; sie fragte sich, wie viel Tomaten in Haus Vaterland pro Tag so verputzt werden mochten.
Charly besorgte sich eine Sackkarre und hatte gerade damit begonnen, die Tomatenkisten aus dem Regal zu holen, da hallte ein Geräusch von den Betonwänden wider. Sie hatte die Lagertür offen stehen lassen, weil sie ja gleich wieder hinauswollte, und nun hörte sie, wie die schwere Tür ins Schloss fiel.
Verdammt! Welcher Idiot machte denn da die Tür zu? Und ihr die Arbeit umständlicher als nötig? Na, vielleicht war der Kollege, der die Tür zugeschlagen hatte, noch in der Nähe und konnte ihr helfen.
Sie holte die nächste Kiste unten aus dem Regal, und dann zuckte sie zusammen.
Schwarz-weiß gemusterte Pepita-Hosenbeine, direkt vor ihrer Nase.
Sie schaute auf. Da stand Manfred Unger, wie aus dem Boden gewachsen, und guckte ihr bei der Arbeit zu.
Charly stellte die Kiste ab und richtete sich auf.
»Meine Güte«, sagte sie und versuchte ein Lächeln, »Sie haben mich vielleicht erschreckt!«
Dass er das nun schon zum zweiten Mal an diesem Tag geschafft hatte, sagte sie nicht. Ob er kontrollieren wollte, dass sie ihre Arbeit auch gewissenhaft erledigte? Oder ein vertrauliches Gespräch suchte wegen gestern?
»Tut mir leid«, sagte er, lächelte noch einmal sein misslungenes Lächeln von vorhin und kam näher. »Ich wollte Sie nicht erschrecken, Fräulein Ritter, ich wollte Ihnen nur einmal unter vier Augen sagen, wie sehr ich mich freue, Sie als Mitarbeiterin gewonnen zu haben. Und wie sehr ich Ihre Arbeit schätze.«
»Oh, vielen Dank«, sagte Charly, doch sie fühlte sich nicht sehr behaglich nach diesem Lob.
»Ich hoffe, bald ein bisschen mehr Büroarbeit für Sie zu haben. Dann müssen Sie sich nicht so schmutzig machen, ein hübsches Mädchen wie Sie!«
»Büroarbeit erledige ich gerne, vielen Dank. Aber ich bin mir für keine Arbeit zu schade, das müssen Sie nicht denken.«
»Und wie nass Sie geworden sind beim Spülen …« Er schaute sie an. »Ihr Kleid sollten Sie möglichst schnell trocknen, sonst erkälten Sie sich noch.«
»Hab ja gleich Feierabend.«
Sie holte eine weitere Tomatenkiste aus dem Regal. Die letzte.
»Ja, gleich.« Er stand nun direkt bei ihr, viel näher, als der Anstand es erlaubte. »Aber ein gutes Viertelstündchen haben wir ja noch.«
Charly wusste nicht, was sie tun sollte. Am liebsten wäre sie einen Schritt zurückgewichen, aber da stand das Gemüseregal. Und dann griff Unger zu. So unvermittelt, dass sie vor Schreck die Kiste fallen ließ. Sieben, acht Tomaten kullerten über den Boden, aber das störte den Chefkoch nicht. Er hatte Charlys Taille gepackt und zog ihren Körper an den seinen. Sie spürte seine Erektion und gleich darauf seine Lippen auf den ihren. Seine Zunge versuchte, sich in ihren Mund zu schieben, doch sie drehte schnell ihren Kopf weg.
»Herr Unger«, sagte sie, und legte all die Empörung in ihre Stimme, die sie in diesem Moment empfand, und all ihren Ekel. »Was machen Sie da! Sie vergessen sich!«
Sie hörte ihn keuchen und ekelte sich noch mehr.
»Na komm«, sagte er. »Da ist doch nichts dabei. Ich habe die Tür vorne abgeschlossen, wir werden nicht gestört.«
Sie versuchte, sich aus seiner klammerartigen Umarmung zu befreien, doch das war gar nicht so einfach.
»Ich hatte dich gleich im Blick. Und als ich dich gestern in der Linkstraße gesehen habe, in dieser Kaschemme, da wusste ich: Die Ritter, die ist kein Kind von Traurigkeit.«
»Herr Unger, bitte!«
Hatte er sie also doch gesehen gestern. Und völlig falsche Schlüsse daraus gezogen. Der Mann schien sie für eine Nutte zu halten.
»Du machst mich so wild«, keuchte er, »wie du mit dem Hintern wackelst, wenn du weißt, dass ich dich beobachte!«
»Herr Unger, Ihre Phantasie geht mit Ihnen durch. Lassen Sie mich bitte los!«
Ihre Bitte half nicht, er hielt sie weiter gepackt und grabschte an ihr herum. Als er seine rechte Hand auf ihren Busen legte, hatte sie genug. Charly verpasste dem Kerl eine gepfefferte Ohrfeige.
»Herr Unger, es reicht!«
Er schaute sie an, glotzte verständnislos und hielt sich die Wange. Immer noch atmete er heftig.
Und mit einem Mal lag Verachtung in seinem Blick, in diesen Augen, die sie eben noch voller Geilheit angestarrt hatten. »Ach, so eine bist du«, sagte er, »so eine!« Er schüttelte den Kopf.
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