Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
ist, oder?«, fragte er.
»Wir werden sehen. Der ED hat die Fingerabdrücke auf dem Knopf gesichert.«
Rath zeigte zu der Bürotür. »Und wer sitzt gerade beim Kollegen Gräf drin?«
»Der Wachmann. Nach dem Koch der Zweite, der die Leiche gesehen hat.«
»Gut, dann lass ich mich da mal blicken.«
Rath klopfte und trat ein, noch bevor jemand »Ja, bitte« sagen konnte. Das Büro war überraschend klein und dunkel, verglichen mit der gleißenden Helligkeit der riesigen Halle; einzige Lichtquelle war eine Schreibtischlampe mit grünem Schirm. Reinhold Gräf wirkte erleichtert, als er seinen Chef erblickte. An der Wand hinter dem Direktionsschreibtisch, an dem der Kriminalsekretär saß, hingen unzählige Künstlerfotos: Musiker, Zauberer, Sänger, Tänzerinnen. An einem kleinen Besuchertisch saß Christel Temme mit ihrem Block und registrierte das Eintreffen des Kommissars genauso gleichmütig wie alles andere. Die Temme war berüchtigt dafür, selbst bei der Vernehmung des abgebrühtesten Mörders keine Miene zu verziehen. Sie schrieb alles, was gesagt wurde, ungerührt mit, ganz gleich, wie ungeheuerlich es sein mochte. Oder wie unwichtig.
Auf dem Stuhl zwischen den Schreibtischen saß allerdings kein abgebrühter Mörder, sondern ein hagerer Mann in der Uniform der Berliner Wach- und Schließgesellschaft, der Anfang vierzig sein mochte und seine Mütze in der Hand knetete. Gräf stand von seinem Stuhl auf.
»Der Herr Kommissar«, sagte er. Halb war es eine Begrüßung, halb eine Erklärung für den Wachmann. Der Kriminalsekretär blieb neben seinem Stuhl stehen, als wolle er seinem Vorgesetzten Platz machen.
Der Wachmann stand ansatzweise auf und deutete ein Kopfnicken an, Rath beschied ihm mit einer Handbewegung, sich wieder zu setzen.
»Herr Janke arbeitet als Wachmann hier im Hause«, erläuterte Gräf überflüssigerweise.
Rath nickte und setzte sich auf die Schreibtischkante. »Fahren Sie doch bitte fort«, sagte er und zündete sich eine Zigarette an.
Gräf blieb stehen, obwohl Rath den Stuhl gar nicht beanspruchte. So schauten die beiden Kriminalbeamten auf den Wachmann hinab, dessen Blick zwischen Rath und Gräf hin- und herwanderte.
»Also …«, begann der Mann, und sofort hörte man den Stenostift wieder übers Papier kratzen, »ich weiß jetzt gar nicht mehr, wo wir stehen geblieben waren …«
»Sie wollten mir gerade sagen, woran Sie erkannt haben, dass der Mann im Aufzug tot war, Herr Janke«, half Gräf, der sich wieder hinsetzte, als er merkte, dass Rath keinerlei Anstalten machte, die Befragung zu übernehmen.
»Richtig.« Janke nickte. »Also, das war so, ich bin runter in die Kabine …«
»Mussten Sie die Tür öffnen?«, fragte Gräf.
»Wie?«
»Die Tür des Aufzugs.«
»Die war doch offen. Hatte Unger schon geöffnet.«
»Der Koch, der die Leiche gefunden hat.«
»Genau.« Der Wachmann schielte von einem Polizisten zum anderen, als wittere er eine Fangfrage. Als niemand etwas sagte, fuhr er fort. »Also, ich bin dann rein in die Kabine. Wie der da lag mit seinen starren Augen – ich hab mir gleich gedacht, der lebt nicht mehr. Aber ich hab erst mal seine Halsschlagader gefühlt.«
»Wieso die Halsschlagader?«, fragte Gräf.
»Das … das haben wir so gelernt … auf unserem Lehrgang. Wach- und Schließgesellschaft.«
Gräf nickte und machte eine Notiz. Rath saß auf der Schreibtischkante, zog an seiner Zigarette und ertappte sich dabei, wie er auf die Uhr schaute. Alles hier ging ihm auf den Wecker, die Umständlichkeit dieses Wachmanns, Gräfs Nachfragen selbst bei unwichtigen Details, die ganze unerträgliche Langsamkeit dieser Vernehmung.
»Und was haben Sie dann gemacht?«, fragte Gräf.
Der Wachmann schielte zu Rath. »Ich bin dann erst mal wieder rausgeklettert aus der Kabine, und dann …«
»Vielen Dank, Herr Janke, aber so genau brauchen wir das jetzt nicht!« Rath rutschte vom Schreibtisch. »Ich würde die Vernehmung gerne für eine Weile unterbrechen. Würden Sie so lange bitte draußen warten.«
»Aber sicher«, sagte Janke und stand auf.
Gräf wartete, bis der Wachmann draußen war. »Was soll denn das jetzt, Gereon? Kannst du mir das mal verraten?«
»Sie brauchen unser Gespräch nicht mitzustenografieren, Fräulein Temme, warten Sie doch bitte ebenfalls draußen. Machen Sie eine kleine Pause.«
»Ich brauche keine Pause, Herr Kommissar.«
»Wir rufen Sie, wenn wir Sie wieder brauchen«, sagte Rath und schaute streng. Die Stenotypistin
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