Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
deutete lediglich ein Kopfnicken an.
»Morgen, Doktor.«
»Herr Kommissar! Schön, dass Sie uns auch noch beehren. Ich rauche mir hier vor Langeweile schon die Lunge schwarz. Was war denn los? Autopanne? Sollten sich besser einen deutschen Wagen zulegen.«
Rath ignorierte die Anspielung. »Was für eine Leiche haben wir denn hier?«, fragte er.
Karthaus lächelte sanft. »Das ist das Schöne an der Kriminalpolizei – dass man alles dreimal erzählen darf. Kommen Sie mit, dann zeig ich’s Ihnen. Liegt noch oben. Die Bestatter warten schon sehnsüchtig darauf, sie endlich abtransportieren zu können.«
»Oben?«
Karthaus schnippte seine Zigarette in eine Pfütze. »Wenn der Herr Kommissar bitte folgen wollen.«
Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte sich der Gerichtsmediziner um und ging ins Gebäude. Rath folgte dem weißen Kittel in einen großen, schmucklosen Raum, von dem zwei Lastenaufzüge und ein Treppenhaus abgingen. Schien die Warenannahme von Haus Vaterland zu sein. Karthaus nahm die Treppe. Es ging in den vierten Stock, wo zwei Schupos und zwei schwarz gekleidete Männer vor den Aufzügen warteten. Auf dem Boden stand ein Zinksarg.
»Können wir jetzt?«, fragte einer der Schwarzen, als er den Doktor sah.
»Gleich. Der Herr Kommissar nimmt die Leiche noch eben in Augenschein.« Karthaus lächelte säuerlich und zeigte auf eine Aufzugkabine, die einen guten Meter zu tief im Schacht hing. Zwei Spurensicherer waren damit beschäftigt, Fingerabdrücke sicherzustellen, von den Aufzugknöpfen und von einem Gitterwagen, der in der Kabine stand und in voller Höhe mit Spirituosenkisten beladen war.
»Irgendein dämlicher Unfall, oder was?«, fragte Rath und zündete sich eine Zigarette an. Er verspürte schon jetzt wenig Lust, diesem läppischen Mist hier nachzugehen. Hätte Gräf das nicht auch alleine regeln können?
»Unfall?« Karthaus schaute skeptisch. »Ich fürchte nicht.«
Rath stieg in die Kabine hinunter, die Zigarette zwischen den Lippen, der Gerichtsmediziner folgte ihm.
Der Tote lag auf dem Boden und trug einen grauen Arbeitskittel. Seine weit aufgerissenen Augen, die noch niemand geschlossen hatte, waren weit aus den Höhlen getreten und stierten ins Leere, als hätten sie sämtliche Schrecken der ewigen Verdammnis gesehen; und einen kurzen Moment war Rath von der Vorstellung gefangen genommen, der Lastenaufzug des Hauses Vaterland führe tatsächlich geradewegs immer weiter nach unten bis in die Hölle. Unwillkürlich folgte Rath den toten Augen und schaute nach oben, sah aber nur vergilbtes Sperrholz.
»Wie ist er denn gestorben, wenn’s kein Unfall war?«
Der Doktor räusperte sich. »Ich weiß, es hört sich ungewöhnlich an, doch ich bin mir sicher, dass die Obduktion meine Einschätzung bestätigen wird …«
»Obduktion?«
»Ihr Kollege hat bereits mit dem Staatsanwalt telefoniert. Auf meine Empfehlung hin, natürlich.«
»Wo sind sie überhaupt, die Kollegen?«
»Zeugenvernehmungen, soweit ich weiß. Also«, sagte Karthaus ungeduldig, »dieser Mann ist, wenn mich nicht alles täuscht, ertrunken.«
Die Spurensicherer schienen Karthaus’ Befund zu kennen, jedenfalls arbeiteten sie mit stoischer Miene weiter.
»Ertrunken?«, fragte Rath. »Ertrinkt man normalerweise nicht im Wasser?«
»Vielleicht wurde die Leiche hier nur abgelegt.«
»Sieht nicht so aus«, mischte sich einer der Spurensicherer ein. »Haben sogar Fußspuren von ihm gefunden. Deutet alles darauf hin, dass er selbst in diesen Aufzug gestiegen ist.«
Der andere Mann schwieg und sicherte in aller Seelenruhe einen Fingerabdruck auf dem Stahlrohr des Gitterwagens.
»Außerdem«, fuhr sein Kollege fort, »ist er mit dem eigenen Lieferwagen angereist. Also, wennse mich fragen: Den hat niemand hier abgelegt.«
Rath schaute Doktor Karthaus an, doch der zuckte nur mit den Achseln. »Nach der Obduktion wissen wir mehr«, sagte er.
»Wo ist der Kollege Gräf, sagten Sie?«
»Vernehmungen. In irgendeinem Büro. Fragen Sie die Schupos«, sagte Karthaus und kletterte aus der Kabine.
Rath drückte seine Zigarette draußen auf dem Fußboden aus, ungefähr in Brusthöhe, und folgte dem Gerichtsmediziner, der es eilig hatte, sich zu verabschieden. Die Bestatter sahen das als Aufforderung, sich endlich an die Arbeit zu machen, und hievten ihren Zinksarg zum Aufzug. Ein Blauer erbot sich, den Herrn Kommissar zu seinen Kollegen zu bringen. Während Rath dem Uniformierten nach unten folgte, durch einen dunklen Lagerraum
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