Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Kriminalassistent schien ohnehin nur noch an den Kaubuk zu denken, so aufgeregt hatte Rath ihn noch nicht erlebt. Als habe ihn das Jagdfieber gepackt.
Auf der Legabrücke, auf halbem Weg zu Adameks Hütte, begegnete ihnen Erich Grigat. Der Polizeimeister legte die Hand zum Gruß an den Tschako, und die beiden Kriminalbeamten grüßten zurück.
»Machen Sie doch eben noch einen Abstecher zur Luisenhöhe«, sagte Rath, als sie bereits über die Lindenallee stadtauswärts fuhren.
Kowalski legte die Stirn in Falten, aber er gehorchte.
Vor der Freitreppe des Gutshauses parkte ein weinroter Mercedes, den der Hausdiener gerade mit einem Koffer belud. Rath ließ Kowalski hinter der frisch polierten Limousine halten und stieg aus. Der Diener tat so, als habe er ihn nicht bemerkt, und stakste zurück ins Haus, ohne sich auch nur einmal umzudrehen.
Rath überlegte schon, was er dem Mann sagen wollte, da erschien der Hausherr höchstselbst oben auf der Treppe und knöpfte sich das Jackett zu.
»Herr Kommissar! Guten Morgen.«
»Sie verreisen?«, fragte Rath den Schnapsfabrikanten.
»Berlin.« Wengler räusperte sich. »Den Nachlass meines Bruders regeln. Und natürlich die Formalitäten der Beisetzung.«
»Natürlich.« Rath nickte. »Tut mir leid, Sie noch einmal stören zu müssen. Sie wollten mir noch sagen, wie ich Ihre ehemaligen Mitarbeiter erreichen kann. Aßmann und die anderen Leute auf der Liste.«
»Aber natürlich. Habe Ihnen die Adressen zusammenstellen lassen. Kann ich eben holen lassen.«
»Nicht nötig.« Rath holte eine seiner Visitenkarten aus der Tasche und schrieb Böhms Namen auf die Rückseite. »Wenn Sie ohnehin in Berlin sind, melden Sie sich am Alex bei Oberkommissar Böhm. Der leitet die Ermittlungen.«
Wengler nahm die Karte und nickte. »Werde ich machen, Herr Kommissar. Vielen Dank.«
»Noch etwas …« Rath schaute Wengler an. In dessen Augen war weder Trauer noch Wut noch sonst irgendeine Gemütsregung zu lesen. »Ihr Bruder … wie lange war der hier in Treuburg eigentlich Polizist?«
»Schon während des Krieges. Wieso?«
»Ich suche einfach nach möglichen Mordmotiven. Polizeibeamte machen sich in ihrem Beruf viele Feinde.«
»Das kann man wohl sagen.«
Wengler sagte das mit einer seltsamen Betonung, die Rath geflissentlich überhörte.
»Die Frage ist: Gibt es vielleicht andere Fälle als den Schwarzbrandskandal vierundzwanzig, mit denen Ihr Bruder zu tun hatte und für die sich nun jemand gerächt haben könnte?«
»Ich weiß nicht, was Sie meinen.«
»Irgendein Fall, der besonders böses Blut hervorgerufen hat. Hervorgerufen haben könnte.«
»Ich denke, Sie suchen diesen Radlewski?«
»So ist es. Wir gehen gleich in den Markowsker Wald. Da soll sein Unterschlupf irgendwo sein.«
»Dann finden Sie den mal und belästigen mich nicht mit Ihren Fragen.«
»Herr Wengler, ich weiß, dass wir Kriminalbeamte den Leuten mit unseren Fragen schon mal auf den Wecker fallen können, aber wir tun nur unsere Arbeit. Wir wollen den Mörder Ihres Bruders finden. Und den Ihrer ehemaligen Mitarbeiter.«
»Das weiß ich doch. Entschuldigen Sie.«
»In Berlin wird man Ihnen ähnliche Fragen stellen. Vielleicht denken Sie auf der Fahrt dorthin schon einmal darüber nach.«
Wengler nickte. »Werde ich tun, Herr Kommissar. Versprochen.«
Rath tippte an seine Hutkrempe. »Na dann, gute Reise.«
Er stieg zurück in den Wanderer und schaute in den Rückspiegel, während Kowalski wendete und den Wagen zurück zur Auffahrt lenkte. Wengler stand auf der Freitreppe seines Guts und schaute ihnen nach, bis sie um die Kurve hinter den Alleebäumen verschwunden waren.
62
D er alte Adamek wartete schon auf der Bank vor seiner Hütte, einen Stumpen im Mundwinkel. Er war ähnlich robust gekleidet wie Kowalski, nur dass seine Sachen nicht den Statuten des Sauerländischen Gebirgsvereins entsprochen hätten. Wahrscheinlich waren sie vor Weihnachten das letzte Mal gewaschen worden, wenn überhaupt, die Hose hatte mehr Flicken als Originalstoff aufzuweisen, die Joppe war voller Blutflecken, und die Schuhe wirkten zwar äußerst stabil, wurden aber mit Draht zusammengehalten statt mit Schnürsenkeln. Adamek registrierte Raths Anzug mit einer hochgezogenen Augenbraue und einem Knurren, nur die derben Wanderschuhe schienen ihn zufriedenzustellen.
Der Wilderer schaute erstaunt, vielleicht sogar ein wenig erschrocken, als er merkte, dass man von ihm erwartete, in das Auto zu steigen.
»Wir wollen in den
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