Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Kriminalassistent versuchte es, und es klang halbwegs echt. Auf jeden Fall klang es laut.
Adamek legte den Finger an die Lippen. »Wir sollten jetzt leise sprechen«, sagte er, und dann war er schon mitsamt seiner Schrotflinte im Wald verschwunden. Im polnischen Wald. Rath folgte ihm. Es dauerte nicht lange, kaum mehr als zehn Minuten, da blieb der alte Masure wieder stehen. Sie hatten den Waldrand erreicht und blickten über eine Sumpflandschaft, bewachsen mit Gräsern, Gesträuch und Gestrüpp. Aus dem Boden ragten die Stämme abgestorbener Bäume, was den trostlosen Eindruck noch verstärkte.
»Halt«, sagte Adamek und hob die Hand. »Hier beginnt das Moor, hier ist jeder Schritt gefährlich.«
Rath nickte ehrfurchtsvoll.
»Dahinten«, fuhr Adamek fort und zeigte tief hinein in die öde Landschaft, »liegt seine Hütte.«
»Gut«, sagte Rath. »Dann lassen Sie uns mal hinübergehen.«
Adamek schaute ihn an, als habe er einen unsittlichen Antrag gemacht. »Wie?«
»Sie sollen mich zur Hütte des Kaubuk bringen.«
»Davon war nicht die Rede. Ich sollte Ihnen die Hütte zeigen.« Adamek zeigte über die Sumpflandschaft, hinter der irgendwo wieder der Wald begann. »Und dahinten ist sie. Wenn Sie sich immer an der hohen Kiefer da orientieren, immer in diese Richtung gehen, sind es vielleicht noch fünfhundert Meter. Ist nicht weit.«
»Aber mitten im Moor.«
Adamek nickte. »Sie müssen nur aufpassen. Jeden Schritt vorsichtig setzen.«
»Dann führen Sie uns. Sie kennen sich hier aus.«
»Nicht im Moor.«
»Was ist es? Wollen Sie Geld? Hätten wir vorher drüber reden sollen. Wie viel wollen Sie? Vielleicht lässt sich da was machen.«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Ist mir zu gefährlich.«
»Dann holen Sie Kowalski her, wenn Sie zu feige sind! Die preußische Kriminalpolizei ist es nicht!«
Adamek blieb ungerührt. Er nickte und verschwand wieder im Wald.
Rath setzte sich auf einen warmen Stein und schaute über das Moor. Er schaute in die Richtung, die Adamek ihm gewiesen hatte, und versuchte sich vorzustellen, wie eine Hütte inmitten dieses unwirtlichen Gestrüpps aussehen mochte. Jedenfalls die richtige Wohngegend für einen, der in Ruhe gelassen werden wollte. Er lauschte auf Kowalskis Warnruf, doch der kam zum Glück nicht. Das würde ihm gerade noch fehlen: jetzt von einer polnischen Grenzpatrouille aufgegriffen zu werden.
Wer allerdings auch nicht kam, das war Kowalski selbst. Weder der noch Adamek. Wo blieben die denn so lange?
Rath zog das Zigarettenetui aus der Tasche und steckte sich eine an. Das Rauchen beruhigte ihn sofort. Auch der Gedanke an polnische Grenzbeamte schreckte ihn nun nicht mehr. Sollten die ruhig hier auftauchen. Würde er schon erklären können: Ein Tourist, der sich beim Spaziergang verlaufen hatte, das würden sie ihm doch wohl abnehmen. Solange sie seine Dienstwaffe nicht fänden und seinen Dienstausweis.
Als er die Zigarette auf seinem Stein ausgedrückt hatte, war immer noch kein Mensch erschienen. Ob Kowalski mit Adamek diskutierte? Ihn umstimmen wollte, sie doch bis direkt vor die Hütte zu führen? Vielleicht musste man Masurisch mit dem Alten reden, um ihn zu überzeugen.
Er blickte zurück. Die Sonne im Westen stand schon tief.
Es reichte ihm, er ging zurück in den Wald. So weit war es doch nicht bis zur Lichtung, auf der Kowalski nach polnischen Uniformen Ausschau hielt. Und Adamek war mehr oder weniger geradeaus gegangen, hatte keine großen Haken geschlagen. Rath stapfte durch den Wald, doch er brauchte mehr als eine Viertelstunde, bis er an eine Lichtung kam. Und er war sich nicht sicher, ob es dieselbe war, an der sie den Kriminalassistenten zurückgelassen hatten.
Jedenfalls stand hier kein Kowalski. Und auch kein Adamek.
Er schaute sich um, und dann erkannte er die doppelstämmige Kiefer wieder, an der sie vorhin aus dem Wald getreten waren. Kein Zweifel, es war dieselbe Lichtung. Und hier der Kiefernwald war Preußen, das hatte Adamek doch gesagt. Schluss also mit der Heimlichtuerei.
»Kowalski?«, rief Rath in den Wald hinein, so laut er konnte, »Adamek?«
Keine Antwort.
»Kowalski!«, rief er noch einmal. »Adamek? Wo stecken Sie denn?«
Nichts. Keine Reaktion. Kein Laut. Nur ein paar Vögel, die irgendwo in der Nähe aufflatterten.
»Kowalski! Machen Sie Meldung, verdammt!«
Raths Stimme verhallte, der Wald schwieg ihn an.
Die einzige Erklärung, die er fand, war die, dass Adamek und der Kriminalassistent auf einem anderen Weg zu
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