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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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dem sanften Mondlichtstreifen, um wen es sich bei seinem nächtlichen Besucher handelte. Das blonde Haar war frei, nur noch gewellt von den Zöpfen, zu denen es tagsüber geflochten war.
    Hella ließ den Finger auf seinen Lippen liegen und näherte sich mit ihrem Gesicht. Ihre großen Augen glänzten und schauten ihn an mit einem unergründlichen Blick. Nun konnte er ihr Nachthemd erkennen und die Brüste, die sich darunter abzeichneten.
    Ihr Mund drückte sich auf den seinen, und er spürte ihre Zunge, die sich einen Weg durch seine Lippen bahnte. Sie schmeckte nach Zahnpasta und Himbeersaft. Rath merkte, wie er den Kuss erwiderte, ohne es eigentlich zu wollen, dann machte er sich los.
    »Hella, das ist …«
    Ihr Finger legte sich wieder auf seine Lippen.
    »Pssst«, hörte er sie zischen.
    Und bevor er wusste, wie ihm geschah, lag sie neben ihm im Bett, schmiegte sich eng an ihn und rutschte unter die Bettdecke. Sie wusste, wo sie anfassen musste. Und wie sie anfassen musste.
    61
    A ls Rath am nächsten Morgen aufwachte, war Hella weg. Er konnte sich noch daran erinnern, wie er neben ihr eingeschlafen und in einen tiefen Schlaf ohne weitere Albträume gesunken war, doch nun war die andere Hälfte des Bettes leer, sie war nicht einmal mehr warm.
    Wenigstens hatte sie ihr Nachthemd wieder mitgenommen.
    So etwas war ihm lange nicht mehr passiert, seit Jahren nicht. Und seit er mit Charly zusammen war, erst recht nicht. Selbst die Zeit, in der sie in Paris lebte, all die langen Monate, hatte er gelebt wie ein Mönch, obwohl die Verlockungen, die Berlin einem einsamen Mann Anfang dreißig entgegenbrachte, durchaus zahlreich waren. Einmal hatte ihn im Kakadu eine lüsterne Strohwitwe abgeschleppt und sie hatten sich im Taxi ziemlich wild geküsst und schon ein bisschen ihre Körper erkundet. Dann aber, als es in ihrer Wohnung ernster werden sollte und sie schon im Schlafzimmer gelandet waren, wo Champagner im Kühler bereitstand, hatte Rath an Charly denken müssen und in letzter Sekunde einen Rückzieher gemacht, hatte die Frau, die ihn mit wüsten Schimpfworten belegte, in ihrer Einsamkeit zurückgelassen.
    Das hätte ihm eigentlich eine Lehre sein sollen. Hatte er gedacht.
    Und nun? Kaum war er verlobt, passierte ihm so etwas!
    Du dämlicher Idiot, dachte er. Das Mädchen ist noch nicht einmal großjährig, höchstens achtzehn oder neunzehn!
    Aber verdammt noch mal, wie sie ihn erregt hatte!
    Dämlicher Idiot! Ist das alles, an was du denken kannst?
    Er ging ins Bad und brauste sich so kalt ab, dass er laut schreien musste. Es war ihm egal, was die anderen Gäste denken mochten. Danach fühlte er sich wieder etwas klarer im Kopf, musste jedenfalls nicht mehr an dieses Mädchen denken, das er überhaupt nicht kannte, von dem er aber immerhin sagen konnte, dass er mit Sicherheit nicht ihr erster Mann gewesen war. Das Einzige, was ihn an dieser Geschichte wirklich freute, war, dass er diesem dämlichen SA – Jüngling Klaus Fabeck in der Nacht Hörner aufgesetzt hatte.
    Sein Blick fiel auf die Uhr, er musste sich sputen. Als er aus dem Bad kam, verspürte er einen Bärenhunger. Dann kam ihm in den Sinn, wer unten im Speisesaal bedienen würde, und er beschloss, auch heute auf das reichhaltige Frühstücksangebot des Salzburger Hofs zu verzichten.
    Wie ein Dieb schlich er die Treppe hinunter. An der Rezeption, an der wie meistens Hermann Rickert persönlich stand, der Inhaber des Salzburger Hofs und Hellas Vater, grüßte er kurz und beiläufig und musste gegen die Vorstellung ankämpfen, der Mann habe womöglich eine Schrotflinte hinter dem Tresen stehen, von der er jeden Moment Gebrauch machen könnte. Doch Hermann Rickert grüßte genauso freundlich wie immer, und Rath gelangte unbehelligt auf die Straße. Auf dem Marktplatz kokelten noch immer die Reste des gestrigen Feuers vor sich hin und verbreiteten einen Geruch, als sei mindestens die halbe Stadt abgebrannt.
    Rath spazierte zum entgegengesetzten Ende des Marktplatzes und setzte sich in ein Café gleich neben der Treuburger Zeitung , deren aktuelle Ausgabe denn auch in einem hölzernen Zeitungshalter an der Garderobe hing. Er trank einen Kaffee, aß dazu ein Schinkenbrötchen und überflog das Blatt. Der Abstimmungsfeier war tatsächlich eine Sonderseite gewidmet, eine weitere Seite galt den Geschehnissen vor zwölf Jahren. Die Ergebnisse der Volksabstimmung, so las er, waren gleich nebenan, vor der Geschäftsstelle der Oletzkoer Zeitung , wie sie damals noch

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