Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Wald«, sagte er. »Das geht nicht mit diesen Blechkisten.«
»Nur bis Markowsken, ab da können wir immer noch zu Fuß gehen«, erklärte Kowalski.
Adamek willigte schließlich ein, wenn auch widerwillig. Rath vermutete, dass der Mann in seinem ganzen Leben noch niemals in einem Auto gesessen hatte. Ein Pferdekarren war wohl das einzige Fortbewegungsmittel, dessen er sich jemals bedient hatte. Und im Krieg vielleicht die Eisenbahn, zwangsläufig. Wilhelm Adamek war es gewohnt, all seine Wege zu Fuß zurückzulegen. Der Wilderer kauerte auf dem Rücksitz und hielt sich mit beiden Händen am Lauf der Schrotflinte fest, die er zwischen die Knie geklemmt hatte. Rath war sich nicht sicher, ob der Alte nebenbei ein paar Tiere schießen wollte, wenn sie schon einmal im Wald waren, oder ob er nie ohne Flinte aus dem Haus ging.
Sie erreichten Markowsken über eine schöne Höhenstraße, das Dorf lag deutlich höher als Treuburg und der See. Kurz vor dem Ortseingang passierten sie ein kleines Wäldchen, vor wenigen Jahren erst gepflanzte Bäume, zwischen denen steinerne Kreuze standen.
»Der Heldenfriedhof«, erklärte Kowalski ungefragt. »Hier liegen Russen und Deutsche friedlich nebeneinander.«
Adamek auf der Rückbank knurrte irgendetwas Unverständliches. Rath erinnerte sich daran, dass der Alte selbst im Krieg gegen die Russen gekämpft hatte. Vielleicht lagen dort einige Kameraden von ihm begraben. In jedem Fall einige Feinde. Ehemalige Feinde. Ihm wurde wieder bewusst, wie sehr Masuren unter dem Weltkrieg gelitten hatte. Auch im Rheinland waren Leute gestorben, am Hunger und an den Entbehrungen, aber im Westen hatte sich der eigentliche Krieg mit seinen Grausamkeiten jenseits der Grenze abgespielt. Anders in Ostpreußen, wo Schlachten tobten, wo der Krieg Städte und Dörfer zerstört hatte, ehe Hindenburgs Sieg bei Tannenberg die Russen wieder aus dem Land jagte. Kein Wunder, dass der Mann von den Masuren verehrt wurde wie ein Heiliger.
Kowalski parkte am Ende des Dorfes.
»Sie kommen doch von hier«, meinte Rath, »wollen Sie Ihre Eltern nicht besuchen? So viel Zeit haben wir noch.«
»Die leben nicht mehr hier«, sagte Kowalski. »Mein Vater liegt drüben bei den anderen Soldaten am Dorfrand.«
»Oh, das wusste ich nicht, das tut mir leid.«
»Muss Ihnen nicht leidtun. Ich kenn das nicht anders, ich war noch ein Kind, als er fiel. Gerade fünf, als meine Mutter mir sagte, dass Papa tot ist. Als Kind nehmen Sie so etwas hin, da denken Sie, das ist normal: Erst wirst du fünf, dann stirbt dein Papa, dann wirst du eingeschult.«
»Und Ihre Mutter?«
»Die hat ein paar Jahre nach dem Krieg noch einmal geheiratet und ist weg von hier.« Kowalski schaute Rath an. »Nach Amerika. Dahin wollte ich aber nicht. Da hat Onkel Fritz sich um mich gekümmert.«
Rath nickte und schwieg. Er wollte Kowalski nicht weiter mit Fragen löchern.
Der alte Adamek hatte sich nicht um ihre Unterhaltung geschert, er war einfach aus dem Wagen gestiegen und losgestapft, war der Dorfstraße gefolgt und dann in einen Feldweg abgebogen.
»Ich glaube«, sagte Rath, »wir müssen aufpassen, dass wir den Anschluss an unseren Führer nicht verlieren.«
Und damit sollte er recht behalten. Adamek legte einen schnellen Schritt an den Tag, der es ihnen nicht leicht machte mitzuhalten, und das nicht nur, weil sie seinen Vorsprung einholen mussten. Der Mann hatte lange Beine und wusste sie effektiv zu bewegen. Es dauerte nicht lange, und Rath war außer Puste.
»Moment«, rief er, und Adamek blieb tatsächlich stehen, »Moment, eine kleine Pause, bitte.«
Kowalski öffnete seinen Rucksack. Er holte eine Feldflasche heraus und ein paar Landjäger. Er bot Rath eine Wurst an.
»Nein danke. Ein Schluck Wasser wäre mir lieber.«
Kowalski reichte ihm die Feldflasche, und Rath nahm ein paar Schlucke. Adamek lehnte ab.
»Wir sollten weiter«, sagte er. »Ist noch ein weiter Weg.«
»Gut«, sagte Rath, »dann aber bitte ein bisschen langsamer. Man könnte ja den Eindruck bekommen, Sie laufen vor uns weg.«
Adamek nickte und setzte sich wieder in Bewegung. Vielleicht wirklich ein bisschen langsamer als zuvor, aber immer noch recht zügig. Wenigstens folgten sie für die nächsten Kilometer einem Weg. Doch der endete abrupt auf einer Lichtung, und fortan liefen sie mitten durch den Wald, über grasbewachsenen sandigen Boden, der einem unter den Füßen wegrieselte und nur an wenigen Stellen vom Moos zusammengehalten wurde. Rath war nun froh,
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