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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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floh nun über den Kai mit wehendem Kittel.
    »Halt, stehen bleiben«, rief Böhm in sein Megafon. »Bleiben Sie stehen! Oder ich sehe mich gezwungen, auf Sie schießen zu lassen.«
    Der Mann drehte sich um, und Gräf meinte, im bleichen Licht der Neonlampen das Gesicht von Dietrich Aßmann zu erkennen, dem Mann aus Ostpreußen, der momentan die Geschäfte der Firma Lamkau führte, um die überforderte Witwe zu unterstützen.
    Doch dann rannte der Mann auch schon weiter, und Gräf war sich nicht mehr sicher, ob es wirklich Aßmann war. Der stand doch eigentlich unter Beobachtung.
    »Bleiben Sie stehen«, krächzte das Megafon noch einmal, »oder wir schießen.«
    Und dann gab ein Schupo tatsächlich einen Schuss ab, einen Warnschuss, wie in den Dienstanweisungen vorgeschrieben.
    Die meisten Ganoven blieben nach so einer Warnung stehen, nicht aber dieser Mann, der rannte nur umso schneller.
    Noch einmal knallte ein Schuss durch die Nacht, und Gräf befürchtete schon, ihr nächtlicher Einsatz, der bislang so reibungslos verlaufen war, könne nun doch sein erstes Todesopfer fordern, da hob der weiße Kittel plötzlich ab, schien für einen kurzen Moment wirklich fliegen zu können, sackte dann aber so schnell ab wie ein Bleigewicht und verschwand hinter der Kaimauer.
    Gräf lief hinter ein paar Schupos her, hinüber zur Hafenkante, und leuchtete mit seiner Taschenlampe über die Wasseroberfläche, die vom Eintauchen des Körpers immer noch schäumte. Jemand rief laut »Da!«, als der Lichtkegel etwas Helles erfasste, das langsam und von unzähligen Luftblasen begleitet an die Oberfläche stieg. Doch es war nur der weiße Kittel, der von den Blasen nach oben getragen wurde, von dem Flüchtigen war nichts mehr zu sehen. Der Mann war spurlos im gurgelnden schwarzen Wasser verschwunden.
    65
    E s war schon spät, das Büro leer und dunkel. Gräf war mit Böhm zum Westhafen gefahren, und Erika Voss hatte sich längst in den Feierabend verabschiedet. Charly machte das Licht an und hängte ihren Mantel an die Garderobe. Observierungen waren bei den Kollegen nicht sehr beliebt, deswegen durften sich die beiden Kommissaranwärter damit herumschlagen. Seit dem Morgen hatte sie Gustav Wengler nicht aus den Augen gelassen; er war die meiste Zeit mit seiner Verwandtschaft aus Danzig unterwegs gewesen, die auch den Tag nach der Beerdigung noch in Berlin verbrachte, und nun waren sie im Hotel. Es sah nicht so aus, als ob Wengler sich noch zum Westhafen begeben würde, dennoch ließen sie ihn nicht aus den Augen.
    Vor einer knappen Stunde erst hatte Lange sie abgelöst, und während er nun in einem grünen Opel vor dem Eden-Hotel an der Gedächtniskirche darauf wartete, ob Gustav Wengler sich noch einmal regte, war Charly ins Präsidium gefahren anstatt nach Hause. Was daran liegen mochte, dass sie im Augenblick nicht so genau wusste, wo ihr Zuhause war.
    Von der Spenerstraße hatte sie sich innerlich schon verabschiedet, ohne dass sie bislang den Mut gefunden hätte, Greta von den Änderungen in ihrem Leben zu erzählen, und in Charlottenburg fühlte sie sich immer noch wie eine Fremde. Obwohl die Wohnung ihr viel zu groß erschien, vor allem, wenn sie allein dort war, hatte sie die letzten Nächte in der Carmerstraße verbracht. Wenn sie wenigstens den Hund mit dorthin hätte nehmen können, aber Kirie hatte sie für die Zeit der Observierung wieder in die Obhut von Erika Voss gegeben.
    Charly seufzte und holte die Akte Vaterland aus dem Regal. Herbert Lamkau. Gleich drei Verbrechen kreuzten sich in der Person des toten Spirituosenhändlers: Mord, Erpressung und Alkoholschmuggel. Und die große Frage war, wie diese drei Dinge miteinander in Zusammenhang standen.
    An der Erpressung jedenfalls gab es keinen Zweifel mehr. Riedel und Unger saßen in Untersuchungshaft und warteten auf ihren Prozess. Beide hatten versucht, dem jeweils anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben, was die Sache letzten Endes erleichtert hatte. Charly überflog Nebes Vernehmungsprotokolle und musste schmunzeln. Wie der Kommissar die beiden Erpresser aufs Glatteis geführt hatte, das war schon meisterlich: Mit einer dahingeworfenen Bemerkung hatte er bei Unger den Eindruck erweckt, Riedel habe ihn reinreiten wollen, und das hatte den Koch schließlich dazu veranlasst, dasselbe mit dem Einkäufer zu versuchen. Ein Ping-Pong-Spiel in zwei Vernehmungsräumen, an dessen Ende unterschriftsreife Geständnisprotokolle standen.
    Ohne es zu ahnen, hatten Unger und

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