Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Riedel mit dem Fusel, den sie der Firma Lamkau unterschieben wollten, um sie dann damit zu erpressen, einen empfindlichen Nerv getroffen, denn Herbert Lamkau vertrieb tatsächlich Schwarzgebrannten. Ein lukratives Geschäft, das die beiden Erpresser da gestört hatten: Lamkau hatte ordentliche Summen damit verdient. Alles bis auf die Pfennigbeträge genau in der Kladde vermerkt, die Gräf in der Wohnung von Siegbert Wengler gefunden hatte. Sie hatten eine Weile gebraucht, um aus den Zahlenkolonnen schlau zu werden, doch es hatte sich gelohnt. Sie hatten immer noch keine Ahnung, wie und wann Wengler die Kladde aus dem Präsidium gestohlen haben mochte, aber das Entscheidende war, dass er es getan hatte.
Vor den Erpressern allerdings hatte Wengler Lamkau nicht schützen können, das hatten andere übernommen. Im Verbrecheralbum hatte Charly einen der Männer wiedererkannt, die sie in der Spelunke in der Linkestraße gesehen hatte. Rudolf Haas alias der schöne Rudi , die rechte Hand von Paul Marczewski, genannt Polen-Paule, dem Chef des Ringvereins Concordia . Auch wenn Charly das andere Galgengesicht nicht im Verbrecheralbum gefunden hatte, konnte man davon ausgehen, dass es sich ebenfalls um ein zahlendes Mitglied der Concordia handelte.
Charly fragte sich, ob die beiden Männer auch etwas mit dem Mord an Lamkau zu tun hatten oder ob es sich um einen Rachefeldzug handelte, wie Gereon vermutete, den Rachefeldzug eines Mannes, dessen Mutter dem Fusel von Lamkau und Co. zum Opfer gefallen war. Was Gereon allerdings nicht wusste, da es ihm niemand hatte sagen können: dass Lamkau seine illegalen Geschäfte bis zum heutigen Tage weitergeführt hatte. Was bedeutete, dass es noch zahlreiche weitere Todesopfer gegeben haben konnte und damit zahlreiche weitere Menschen, die einen Grund zur Rache hätten.
Gereon. Verdammt! Schon wieder war sie mit ihren Gedanken bei ihm gelandet.
Sie schaute aus dem Fenster, doch die Dämmerung draußen hatte sich bereits in Dunkelheit verwandelt, und Charly konnte nur ihr Spiegelbild in der Fensterscheibe erkennen, das jetzt gähnte und ihr zeigte, wie müde sie eigentlich war.
Wenn sie nur wüsste, wo der Kerl steckte!
Sie mochte es niemandem sagen, aber so langsam machte sie sich Sorgen um ihn. War ihm irgendetwas zugestoßen?
Aber dann hätten die Treuburger Behörden sich doch längst gemeldet. Oder der Königsberger Kollege, von dem er erzählt hatte.
Sie beschloss, doch noch einmal in seinem Treuburger Hotel anzurufen, auch wenn sie sich dabei lächerlich vorkam. Wenigstens konnte sie in der Carmerstraße telefonieren, ohne dass Kollegen mithörten. Von Greta ganz zu schweigen. Die Freundin hätte sich totgelacht, hätte sie erfahren, dass Charly sich Sorgen um einen Mann machte und ihm hinterhertelefonierte. Wobei Charly nicht einmal wusste, ob es wirklich Sorgen waren, die sie so unruhig machten. Vielleicht war es auch einfach nur die Wut auf diesen Scheißkerl, der sich partout nicht melden wollte.
66
S eltsame Gerüche. Tierschweiß und Kräuter. Kamille und Essig. Plötzlich Helle hinter der Dunkelheit. Lichtschein hinter den Lidern.
Traumfetzen. Erinnerungen.
Der Mond.
Charlys Lächeln.
Entglitten, nicht zu fassen, nicht zu halten.
Augen öffnen. Beißendes Licht.
Ein hölzerner Löffel mit einer dampfenden Flüssigkeit. Ekelhafter Geruch. Tierschweiß. Kräuter. Kamille und Essig.
Trink, trink!
Eine knorrige Stimme.
Abwenden. Augen schließen.
Charlys Lächeln.
Ein Stoß zurück ins Licht.
Höllisches Grinsen ganz nah, ein schwarzes Tier mit gebleckten Zähnen und roter, hechelnder Zunge. Darüber ein blonder Bart.
Zu wenig Kraft, um zu erschrecken.
Trink!
Knorrige Stimme. Hinter dem Bart.
Und wieder der Löffel. In den Mund gezwungen. Ekelhafter Geschmack, bitter und ölig und heiß. Schlucken ohne Willen. Kamille und Essig und Honig und Kräuter.
Plötzliches Zittern. Wärme, die durch den Körper zieht, und große Müdigkeit.
Eine Müdigkeit, größer als alles andere.
Zurückfallen.
Schwere.
Augenlider.
Wieder geschlossen.
Wieder Schwärze, Schlaf und Tod.
Wieder Frieden.
Hauptsache, Frieden, lasst mich in Frieden.
Schwarzer, toter Schlaf.
Charlys Lächeln.
Frieden.
Hauptsache.
67
D ietrich Aßmann saß am Tisch in Vernehmungsraum B und zuckte die Achseln. So wie er es schon zigmal zuvor gemacht hatte in diesem Gespräch. Böhm hätte eine Strichliste führen können.
Die Firma Lamkau hat gestern Abend eine größere Lieferung im
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