Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
bei der Feuerwehr. Eine Kistenkette.
Der Kriminalsekretär griff zum Telefon und wartete, bis Böhm sich gemeldet hatte.
»Jetzt«, sagte er. »An der Westseite von Halle zwei. Die MS Erika . Fünf Lieferwagen, insgesamt gut ein Dutzend Männer. Noch keine Bewaffneten gesehen, ist aber nicht ausgeschlossen, dass ein paar Männer Waffen tragen, vor allem die auf dem Schiff.«
Wenige Sekunden später öffnete sich eine große Schiebetür in der Lagerhalle, und der Zollinspektor trat auf die Verladerampe, hinter ihm Wilhelm Böhm mit einem Megafon.
Lamkaus Leute hatten noch nichts bemerkt, die Schnapskisten wanderten weiter von Mann zu Mann.
Inzwischen hatten sich auch die Uniformierten auf der Rampe postiert, die Karabiner im Anschlag.
»Achtung, Achtung«, hörte Gräf Böhms Megafonstimme krächzen, »hier spricht die Polizei!«
Die Kistenkette, eben noch so schnell wie ein Fließband, geriet ins Stocken; eine Schnapskiste, die keinen Abnehmer mehr gefunden hatte, knallte auf das Pflaster.
»So ist es richtig«, fuhr die Megafonstimme fort, »stellen Sie die Kisten ab und nehmen Sie die Hände hoch. Sie sind vorläufig festgenommen. Widerstand ist zwecklos, Sie sind umstellt, das Hafengelände ist abgeriegelt. Die Ware wird vom Hauptzollamt Berlin beschlagnahmt.«
Einer der Fahrer schien Böhm nicht zu glauben, er stieg in einen Lieferwagen und gab Gas. Mit aufheulendem Motor raste der Wagen über den Kai, haarscharf an der Hafenkante entlang, zwei Männer aus der Kette mussten beiseitespringen, um nicht überfahren zu werden. Der Fahrer wollte über die Westhafenstraße entkommen, doch das Osttor war geschlossen und wurde von Uniformierten mit Karabinern bewacht. Der Lieferwagen wendete mit quietschenden Reifen, doch niemand störte ihn auf seiner Fahrt zurück über das Hafengelände, niemand verfolgte ihn. Die kopflose Flucht würde dem Fahrer nichts einbringen, verriet nur, dass sie hier tatsächlich eine illegale Aktion gestört hatten. Inzwischen war der Mann am Westtor angekommen. Als er auch dort auf bewaffnete Bereitschaftspolizisten stieß, gab er endlich auf und stieg mit erhobenen Händen aus dem Wagen.
Gräf packte den Feldstecher ein und machte sich an den Abstieg.
Die Männer unten hatten brav die Hände hochgenommen und ließen sich widerstandslos festnehmen.
Unten angekommen hörte Gräf den Lärm von Dieselmotoren und sah, wie die Polizeifahrzeuge anrollten, die sie hinter dem Verwaltungsgebäude geparkt hatten. Die Schupos, die nicht damit beschäftigt waren, den Männern Handschellen anzulegen, begannen damit, die Kisten auf die Laster zu verladen. Nicht nur die aus den Lieferwagen und die, die auf dem Kai standen, auch die, die bereits im Schiff verstaut waren. Eine Kiste hatte Böhm bereits aufbrechen lassen und eine Flasche herausgenommen. Er öffnete sie, schnupperte daran und machte ein angewidertes Gesicht. Der Oberkommissar hielt Gräf die Flasche hin. Sah aus wie ganz normaler Luisenbrand, wie er überall in Berlin ausgeschenkt wurde, roch allerdings ganz anders. Ziemlich scharf, eher nach Brennspiritus als nach edlem Kornbrand. Eine chemische Analyse war zwar für das Gerichtsverfahren nötig, aber dass das hier billigster Fusel war, daran konnte schon jetzt kein Zweifel bestehen. Und dieses Zeug sollte den Amis als deutsche Spezialität untergejubelt werden? Gräf fragte sich, wie viel Geld man wohl mit Alkoholschmuggel in die Vereinigten Staaten verdienen konnte, besonders angesichts des jetzigen Dollar-Wechselkurses. Jedenfalls genug, um es in großem Stil zu betreiben.
Er schaute sich die Männer an, die ihnen ins Netz gegangen waren. Auf dem Schiff hatten sie ein paar Galgengesichter festgenommen, deren Porträts sich wahrscheinlich im Verbrecheralbum finden dürften, aber die Männer aus den Lieferwagen waren allesamt ganz normale Mitarbeiter der Firma Lamkau. Den ein oder anderen meinte Gräf schon einmal auf dem Firmengelände gesehen zu haben.
Die Männer mussten auf der Pritsche der Polizeifahrzeuge Platz nehmen, direkt neben ihrem Schmuggelgut.
Plötzlich gab es einen lauten, blechernen Knall. Gräf schaute sich um. Er sah eine Lieferwagentür und einen Schupo, der zu Boden ging. Und dann einen weißen Kittel, der durch die Nacht flog wie ein Gespenst.
Verdammt!
Sie mussten einen Mann übersehen haben, der noch in einem der Lieferwagen gesteckt hatte, in dem ganz vorne. Und der hatte einem nichts ahnenden Schupo die schwere Hecktür vor den Kopf geknallt und
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