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Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)

Titel: Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Kutscher
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ein Haar verschlungen hätten.
    Nur Zigaretten hatte er immer noch keine.
    Rath verließ den kleinen Wald und den Friedhof und ging zur Straße. Bis Treuburg waren es sieben, acht Kilometer, wenn er nach rechts über Krupinnen ging, aber er wusste ein anderes Ziel, das näher lag, und hielt sich links.
    Der Mond leuchtete ihm den Weg. Rath schaute in den Abendhimmel und wusste, dass er länger weg gewesen sein musste, als er geglaubt hatte, länger als ein, zwei Nächte, viel länger. Aus dem zunehmenden Mond, der ihm beinah beim Sterben zugeschaut hätte, war bereits wieder ein abnehmender geworden.
    Der Turm der Dorfkirche hob sich düster und dunkel vom Nachthimmel ab. Rath ging die letzten Meter zur Hauptstraße hinauf und hoffte, niemandem zu begegnen. Sein Anzug war vollkommen verschmutzt, seine Haare verfilzt, und wenn er sein Kinn befühlte und seine Wangen, dann wusste er, dass er eine Rasur mehr als nötig hatte.
    Im Schulhaus brannte noch Licht. Rath klopfte.
    Es dauerte eine Weile, dann öffnete Karl Rammoser die Tür. Er schien sich tatsächlich zu erschrecken, jedenfalls riss er die Augen auf, als er Rath erblickte. Vielleicht hielt er ihn für den Kaubuk.
    »Herr Kommissar«, sagte der Lehrer schließlich. »Wo kommen Sie denn her so spät? Ich dachte, Sie wären längst wieder in Berlin?«
    »Kann ich reinkommen? Dann erzähl ich’s Ihnen.«
    »Aber sicher.«
    Auf dem Esstisch in der Lehrerwohnung standen eine Flasche Selbstgebrannter und ein Glas, daneben lag ein aufgeschlagenes Buch. Rammoser holte ein zweites Glas aus dem Schrank.
    »Auch einen?«, fragte er. »Sie sehen aus, als hätten Sie’s nötig. Was ist passiert?«
    »Wenn Sie mir auch eine Zigarette geben könnten? Die habe ich nötiger.« Rath schaute sich um. »Wo ist denn Ihre Haushälterin?«
    »Erna? Längst im Feierabend.«
    Die Wanduhr zeigte kurz vor Mitternacht.
    »Welchen Tag haben wir eigentlich?«
    »Mittwoch.«
    »Ich meine: welches Datum?«
    »Der zwanzigste Juni. Brauchen Sie auch das Jahr?«
    Rath schüttelte den Kopf. Über eine Woche war er im Wald verschollen. Warum hatte man nicht nach ihm gesucht?
    Rammoser gab ihm eine Zigarette und Feuer. »Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, Herr Kommissar, aber Sie sehen fürchterlich aus.«
    »Danke für die Blumen.« Rath nahm einen tiefen Zug und spürte, wie das Nikotin sich wieder in seinem Körper ausbreitete. Endlich. »Und was ist mit Ihnen?« Er zeigte auf den schwarzen Anzug, den der Dorflehrer trug, mit allerdings bereits gelockerter Krawatte und offenem Kragen. »Waren Sie auf einer Beerdigung?«
    »Sie haben wirklich nicht viel mitbekommen, die letzten Tage, was?« Rammoser hatte seine Stirn in Falten gezogen.
    »Ich weiß gar nichts, ich war ein paar Tage aus der Welt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes.«
    »Maria Cofalka ist tot.«
    Rath musste sich setzen.
    »Das tut mir leid«, sagte er. »Sie waren gut mit ihr befreundet, nicht wahr?«
    »Sehr gut.« Rammoser goss Selbstgebrannten in die beiden Gläser und setzte sich zu ihm. »Maria war wahrscheinlich die beste Freundin, die man in dieser Stadt haben konnte.« Der Dorflehrer hob sein Glas, die Männer stießen an und tranken.
    »Wie ist sie denn gestorben?«, fragte Rath.
    »Ertrunken. Im Treuburger See. Nicht weit von der Badeanstalt hat man ihre Leiche gefunden.« Der Lehrer zuckte die Achseln und wirkte hilflos. »Einige Leute reden von Suizid, aber ich glaube, dass es ein Unfall war. Maria hätte sich niemals umgebracht. Sie wird auf dem Steg ausgerutscht sein, ist irgendwo mit dem Kopf gegengeschlagen und ohnmächtig geworden.«
    Rath zog an seiner Zigarette und schwieg. Er brachte es nicht fertig, von den Briefen zu erzählen, die Maria Cofalka ihm vor ihrem Tod anvertraut hatte. Die er sich hatte stehlen lassen.
    Rammoser schüttelte den Kopf. »Aber reden wir doch von Ihnen. Alle Welt glaubt, Sie seien zurück nach Berlin.«
    »Wer erzählt denn so was?«
    »Bei Pritzkus in der Kneipe wird das erzählt. Weiß auch nicht, wer das Gerücht in die Welt gesetzt hat.«
    »Der alte Adamek vielleicht?«, fragte Rath.
    Rammoser zuckte die Achseln.
    »Dem jedenfalls habe ich den ganzen Mist zu verdanken. Wäre beinahe draufgegangen dabei.«
    »Erzählen Sie.«
    Und Rath erzählte dem Dorflehrer die Geschichte seiner Odyssee im Moor und von seiner Rettung durch den Kaubuk.
    »Artur Radlewski? Dann lebt er also noch.«
    »Und hat mir das Leben gerettet.«
    »Haben Sie ihn deshalb nicht verhaftet? Oder hat er

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