Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
hatte.
Rath schüttelte den Kopf. Er konnte das nicht. Er hätte gerne, aber er konnte nicht. Da war ein Wahnsinniger unterwegs, der schon vier Menschen getötet hatte, keine Unschuldigen, aber vier Menschen. Menschen, die nicht den Tod verdient hatten, wie auch Gustav Wengler nicht den Tod verdient hatte.
Nein, das einzig Richtige war, Gustav Wengler den Prozess zu machen.
Auf der Bergstraße, kurz vor dem Marktplatz, begegnete ihm die SA, rund ein Dutzend junge Männer. Klaus Fabeck, Hellas Freund, führte den Trupp an und guckte Rath finster entgegen. Der typische SA – Blick, dachte Rath, diese eigentümliche Mischung aus Hass und Verachtung, fast mochte man meinen, die Braunhemden übten diesen Blick genauso gewissenhaft wie den Gleichschritt und den Tritt in die Magengrube.
Er stellte sich dem Trupp in den Weg, und Fabeck hob die Hand und gebot seinen Leuten zu halten.
Wenigstens gut dressiert, diese Affen, dachte Rath.
»Na«, sagte er, »unterwegs zu neuen Heldentaten?«
Fabeck war so verblüfft, dass er zunächst gar nichts zu erwidern wusste, sondern nur blöd glotzte.
»Was steht denn heute auf dem Programm?«, fuhr Rath fort, »Diebstahl, Mord, das Übliche?«
Endlich fand Fabeck ein paar Worte. »Wie wär’s mit: Großmaul verprügeln?«
»Du kommst dir bestimmt stark vor mit deinen Leuten im Rücken. Aber das erlaubt dir noch lange nicht, deine kleine Freundin zu Diebstählen in fremden Hotelzimmern anzustiften.«
»Was reden Sie da?«
»Das weißt du ganz genau.«
»Machen Sie Platz!«
»Du kannst deinen grünen Jungs Befehle erteilen, aber nicht einem preußischen Kriminalbeamten.« Rath zückte seine Marke, für den Fall, dass noch nicht alle aus der Truppe mitbekommen hatten, dass er der Schnüffler aus Berlin war. »Hat deine Kleine dir erzählt, dass ich sie beinah erwischt hätte, dass sie nur mit einem Trick an die Briefe gekommen ist?«
»Was für ein Trick?«
Der Junge war tatsächlich noch dämlicher, als er aussah. Solche Leute brauchte die SA. Und bekam sie leider auch ohne Ende.
»Hat sie dir das nicht erzählt? Hat etwas mit ihren weiblichen Reizen zu tun, die sie ja nun unbestritten hat.«
»Was erzählen Sie da?« Fabeck war dabei, rot anzulaufen.
»Ich möchte das hier nicht vertiefen. Kannst sie ja selber fragen. Vielleicht war es ja auch gar kein Trick, vielleicht wollte sie ja einfach …«
»Halten Sie den Mund!«
Fabeck brüllte unvermittelt los. Wenigstens siezte er ihn noch, das zeigte, dass er nicht komplett die Kontrolle über sich verloren hatte.
»Schon gut, schon gut«, sagte Rath. »Wie gesagt, mir geht es um die Briefe. Das sind Beweismittel. Ich hoffe, ihr habt sie nicht vernichtet, darauf stehen schwere Strafen.« Er schaute Fabeck an. »Bring sie mir einfach zurück, und ich vergesse die ganze Sache.«
Der SA – Mann spuckte vor ihm aus.
»Was fällt Ihnen ein«, sagte er. »Wie reden Sie mit einem Rottenführer der SA?«
»Wie man mit so einem grünen Bürschchen reden muss, das sich für einen Mann hält, nur weil es ein braunes Hemd trägt.«
»Sie riskieren ’ne ziemlich große Lippe, Mann!«
»Für dich immer noch: Herr Kommissar! Mag sein, dass die Polizei hier mit euch anders umgeht, aber in Berlin wissen wir noch, dass die SA nichts anderes ist als eine Schlägerbande in Uniform.«
»Ach ja? Vielleicht sollten wir Ihnen dann mal zeigen, dass Sie damit gar nicht so falschliegen!«
»Ihr wollt es wirklich wagen, einen preußischen Beamten tätlich anzugreifen?«
»Was wollense denn machen, Mann? Uns anzeigen? Was meinense, wie viele Zeugen zu Ihren Gunsten aussagen werden? Und wie viele für uns? Hier in der Stadt kann Sie keiner leiden!«
»Ich dachte weniger an eine Anzeige«, sagte Rath und zog seine Walther, »ich dachte eher an Notwehr. Also, wer möchte der Erste sein?«
Die Braunhemden wichen einen Schritt zurück.
»An eurer Stelle«, sagte Rath, »würde ich kleinere Brötchen backen. Ich habe mir nämlich vorgenommen herauszufinden, wie Maria Cofalka gestorben ist.«
»Das Katholenflittchen?«, sagte einer der SA – Jungs und fing sich einen bösen Blick von seinem Rottenführer ein.
»Ich würde sie nicht so nennen«, sagte Rath. »Ich bin ebenfalls katholisch und kann nichts Schlimmes daran finden. Jedenfalls: Ihr Jungs steht ganz oben auf der Liste meiner Tatverdächtigen.«
»Sie haben hier nuscht zu ermitteln«, meldete sich jetzt Fabeck wieder, »Sie sind gar nicht dazu ermächtigt, und was Ihr Isidor in
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