Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Und es sah tatsächlich aus wie seine Unterschrift, wie die Unterschrift unter den Briefen, die sie nach Paris bekommen hatte. Eine Unterschrift, deren Buchstaben gut zu lesen waren:
Gereon Rath.
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E r hatte das Grab schnell gefunden, es gab nur ein einziges frisches auf dem katholischen Friedhof von Treuburg. Die Kränze und die Blumen begannen schon zu welken, es roch nach Grünzeug, nach Mutterboden und Weihwasser. Noch hatte Maria Cofalka keinen Grabstein, und doch wusste Rath, dass er richtig war. Auf dem Weg zum Friedhof hatte er Blumen besorgt, nachdem er die Mordakte am Bahnhof gelassen hatte, in demselben Schließfach, in dem er schon seinen Koffer deponiert hatte vor dem Treffen mit Naujoks.
Rath legte den Blumenstrauß zu den Kränzen auf den sandigen Erdhaufen, und ehe er wusste, was er da tat, war er auf die Knie gesunken. Er war nicht besonders fromm, wusste nicht einmal, ob er überhaupt noch an Gott glauben konnte, aber er fühlte sich schuldig am Tod dieser Frau.
Wengler hatte sie umbringen lassen, eiskalt umbringen lassen.
Für Gustav Wengler ging es nicht nur darum, die Legende um Anna von Mathée zu erhalten und von dem bösen Polen, der sie auf dem Gewissen hatte. Für ihn ging es darum, einen Mord zu vertuschen, den er selbst begangen und mithilfe seines Bruders einem anderen untergeschoben hatte.
Hätte Gereon Rath sich nicht die Papiere stehlen lassen, die sie ihm anvertraut hatte, würde Maria Cofalka möglicherweise noch leben.
Er hatte das dringende Bedürfnis, sie um Verzeihung zu bitten, kam sich dabei aber irgendwie lächerlich vor. Kniete hier vor einem Erdhaufen, unter dem eine Leiche verbuddelt war, und sprach mit einer Toten.
Sie hört dich nicht mehr, verdammt noch mal, es ist zu spät!
Dennoch sprach er weiter mit ihr, entschuldigte sich bei ihr, dass er ihre Ruhe bald würde stören lassen müssen. Um die Umstände ihres Todes ans Licht kommen zu lassen, in dieser Stadt, wo sonst alles unter den Teppich gekehrt wurde. Auf Geheiß ihres mächtigsten Mannes. Alles schien hier auf Geheiß dieses Mannes zu geschehen.
Raths Besuch auf der Luisenhöhe vorhin war umsonst gewesen.
Er hatte ihn zur Rede stellen wollen und die Kleinbahn eine Station vor Treuburg verlassen, war zum Gut hinaufgegangen, doch hatte er dort nur Fischer, den Privatsekretär, angetroffen.
Der Herr Direktor weile immer noch in Berlin. Er habe den Nachlass seines Bruders geregelt und werde sich im Anschluss auf eine Geschäftsreise begeben, frühestens in einer Woche sei mit seiner Rückkehr zu rechnen.
Ob der agile Herr Fischer wusste, bei wem er da in Diensten stand? Dass Gustav Wengler die eigene Verlobte auf dem Gewissen hatte? Und noch mehr Menschen? Ob der Sekretär mit seinem Chef womöglich unter einer Decke steckte?
Rath stand auf und wischte sich den Schmutz von den Knien. Er kam am Grab von Jakub Polakowski vorüber, das nicht weit entfernt lag von dem der Bibliothekarin, und las noch einmal dessen Grabinschrift.
Denn Liebe ist stark wie der Tod und ihr Eifer fest wie die Hölle. Ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn.
Die Liebe. Rath fragte sich, wer dafür gesorgt hatte, dass Polakowski hier beerdigt worden war. Und diese Grabinschrift bekommen hatte.
Vielleicht dieselbe Person, die für die Mordserie verantwortlich war. Jemand, der die Akten kannte und wusste, wer alles mitgewirkt hatte, um Jakub Polakowski die Liebe seines Lebens zu nehmen und ihn dafür auch noch lebenslänglich hinter Gitter zu bringen.
Hätte Rath es nicht besser gewusst, er hätte Maria Cofalka verdächtigt, dieser Jemand zu sein. Sie hatte im Krieg im Krankenhaus gearbeitet, kannte sich also aus mit Injektionsspritzen. Und als Frau hätte sie sich all ihren Opfern nähern können, ohne dass diese Verdacht geschöpft hätten – bis die Spritze in ihre Halsvene gefahren wäre.
Aber Maria Cofalka war in Treuburg gewesen, als Siegbert Wengler in Berlin getötet worden war; Rath hatte sie tags zuvor doch selbst in ihrer Bibliothek besucht und befragt.
Oder hatte sie einen Helfershelfer? Jemanden, der die Arbeit zu Ende bringen würde, auch und gerade jetzt, da die Bibliothekarin tot war? Er musste in Erfahrung bringen, wer sonst Jakub Polakowski nahegestanden hatte.
Oder aber er ließ die Dinge einfach laufen, behielt seine Erkenntnisse für sich. Drückte dem mysteriösen Rächer die Daumen, dass er Gustav Wengler überraschen und ebenso qualvoll töten konnte, wie der damals Anna von Mathée getötet
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