Die Akte Vaterland: Gereon Raths vierter Fall (German Edition)
Bahnhof?«
»Na, so viele gibt’s hier nicht in Treuburg.«
»Du bist immer noch in Treuburg?!«
»Ja, wo soll ich denn sonst sein?« Er musste die Verzweiflung in ihrer Stimme gehört haben, jedenfalls klang er jetzt ernster und hörte endlich auf damit, witzig sein zu wollen. »Charly, es tut mir leid«, hörte sie ihn sagen. »Ich weiß, dass ich mich viel zu spät bei dir melde. Aber … Ich war eine Weile von der Bildfläche verschwunden.«
»Eine Weile?!« Sie konnte nichts dagegen tun, es platzte einfach aus ihr heraus. »Über eine verdammte Scheißwoche haben wir kein Sterbenswörtchen von dir gehört!«
»Tut mir leid, Charly. Hab heute erst erfahren, dass es so lange war. Lag im Fieber, war die meiste Zeit ohne Bewusstsein, habe geschlafen.«
»Mein Gott, Gereon, was ist passiert?«
»Das ist eine lange Geschichte, viel zu lang für ein Ferngespräch. Erzähle ich dir, wenn ich wieder zu Hause bin. Die Hauptsache: Es geht mir gut.«
»Du kommst wieder zurück? Dann pass auf, dass sie dich nicht festnehmen; nach dir läuft eine Fahndung. Seit ungefähr drei Stunden.«
»Wie bitte?«
Sie erzählte ihm, was passiert war.
»Da hat sich irgendjemand einen bösen Scherz erlaubt.«
»Das sehe ich auch so. Und hättest du regelmäßig Bericht aus Treuburg erstattet, würden es vielleicht auch Böhm und Gennat so sehen.«
»Die glauben doch nicht im Ernst, ich würde mich anheuern lassen, um einen von Wenglers Leuten umzubringen?«
»Ich weiß es nicht, Gereon. Um ganz ehrlich zu sein, bis vor fünf Minuten wusste ich auch noch nicht, was ich glauben sollte.«
»Hier ist verdammt viel passiert. Das mit dem Indianer war eine falsche Spur, das ist nicht unser Mann.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich war bei ihm. Und er hat mir das Leben gerettet.«
»Wie?«
»Erzähl ich dir später. Glaub mir, er kann’s nicht gewesen sein. Einer wie der wäre sofort aufgefallen: lange Haare, Zauselbart, das kann man nicht verstecken.«
»Das wird Böhm nicht gerade freuen.«
»Vielleicht wird es ihn freuen, dass ich jetzt mehr über das Motiv weiß. Es ist tatsächlich ein Rachefeldzug, da liegen wir richtig, doch geht es nicht um die Todesopfer von Alkoholpanschern, es geht um Mord. Um einen Mord, den Gustav Wengler vor zwölf Jahren begangen hat.«
»Kannst du das beweisen?«
»Noch nicht, aber ich weiß es. Und dass er damals dafür gesorgt hat, dass ein anderer dafür bestraft wurde.«
»Und der rächt sich jetzt.«
»Nein. Der Mann ist tot. Bei einem Fluchtversuch gestorben. Und seither nimmt irgendjemand Rache. An allen, die damals beteiligt waren. Ihr dürft Wengler nicht aus den Augen lassen, ich bin mir ziemlich sicher, dass er der Nächste ist.«
»Wir observieren ihn.«
»Gut.«
»Wer soll denn dieser mysteriöse Rächer sein?«
»Irgendein Verwandter, ein Freund, keine Ahnung, ich weiß es nicht. Aber ich hoffe, es bald zu wissen.«
»Was hast du vor?«
»Eine Sache muss ich hier noch erledigen, dann komme ich zurück.«
»Ich denke, du bist schon am Bahnhof.«
»Ich habe eine Fahrkarte für den Nachtzug morgen Abend. Das heißt, ich bin übermorgen gegen kurz nach sechs am Bahnhof Zoo. Würde mich freuen, wenn du …«
»Wieso erst übermorgen? Was …«
Sie hörte ein Tuten in der Leitung und hielt inne. Verdammt! Sie rappelte an der Gabel, doch es tat sich nichts.
»Vermittlung? Wieso wurde das Ferngespräch gerade beendet?«
»Tut mir leid«, sagte das Fräulein vom Amt. »Der Teilnehmer hat keine Münzen nachgeworfen.«
Charly legte auf. Verdammt! Wie sollte sie ihn jetzt erreichen? Sie zögerte einen Moment, aber dann tat sie es doch. Sie rief den Salzburger Hof an.
»Ritter hier, guten Abend. Tut mir leid, Sie noch einmal zu stören. Ich habe gehört, Kommissar Rath, Ihr Gast aus Berlin, ist wieder in Treuburg. Könnten Sie ihm eine Nachricht …«
»Tut mir leid, Fräulein Ritter.« Der Hotelier unterbrach sie ebenso freundlich wie bestimmt. »Sie rufen leider wieder zum falschen Zeitpunkt an. Der Herr Kommissar ist heute Mittag bereits abgereist.«
»Oh … Äh, tatsächlich?«
»Bedaure.«
Charly hängte ein und starrte das Telefon an, als könne das schwarze Bakelit Antworten geben auf ihre Fragen.
Was zum Teufel war da los? Was hatte Gereon vor?
Eine Weile noch starrte sie auf den Apparat, doch der blieb stumm. Schließlich nahm sie ihren Mantel und machte das Licht aus.
Sie hatte die Bürotür gerade abgeschlossen, da hörte sie eine Stimme hinter
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